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Warum fährt jemand am 17. Januar von Hamburg nach Lübeck, um A Tribute To ABBA – The Music Show zu sehen, wenn am 3. März ABBA – The Show nach Hamburg kommt? Entweder ist er ein derartiger Die-Hard-Fan, daß er jedes Tributekonzert mitnimmt, das er kriegen kann. Trifft auf mich nicht zu. Oder er will sich einen Eindruck von einer Tributeband machen und eventuell eine Rezension schreiben.
Genau das traf auf mich zu.
Verschärfend kam hinzu, daß ich die Show nicht aus der Nostalgie-Sicht eines ABBA-Fan sehen würde, sondern aus der eines Musikers. Will sagen, aus der Sicht von Musikerpolizei, wie sie normalerweise irgendwo am Rande steht mit verschränkten Armen, nur daß ich nicht am Rande stand, sondern einen Platz in der 7. Reihe des Parketts ziemlich in der Mitte hatte. Ich bin immer irgendwie Musikerpolizei, aber gestern bin ich ausdrücklich in dieser Funktion nach Lübeck gefahren.
Erleichternd kam auf eine Art hinzu, daß ich im ABBA-Fandom keinen wirklichen Namen habe. Zumindest kann niemand mein Gesicht mit meiner Online-Identität assoziieren. Ich konnte mich vor Ort also unerkannt, anonym bewegen. Das hatte durchaus seinen Vorteil, wenn man bedenkt, weshalb ich da war. Gut, letztlich spielte das eine untergeordnete Rolle, weil so ziemlich das ganze Publikum aus Lübeck und Umgebung zu kommen schien – zumindest war ich der einzige, der den Weg zwischen Bahnhof und MuK und den zurück auf sich nahm.
Obwohl ich keinerlei Bilder dieser Veranstaltung gesehen hatte, auf der ein für eine würdige Live-Nachbildung von ABBA notwendige Musikerstab nebst Instrumenten zu sehen gewesen wäre, ging ich zu A Tribute to ABBA in der Erwartung, ein Konzert zu sehen. Weil hier in Vorankündigungen nicht überschwenglich mit Realismus- und Authentizitäts-Superlativen geworben wurde, wäre anzunehmen gewesen, daß es sich um eine der Bands handelt, die statt dessen damit werben, daß alles 100% handgemachte Livemusik ist.
Der Bühnenaufbau sollte mich schon vorab eines Besseren belehren. Mittig fand sich ein Riser mit Stufen, zur Linken desselben stand ein Schlagzeug, voll abgenommen inklusive zweier Overheads, plus zweier Racks stage left vom Schlagzeuger. Schräg vor den Drums war der Gitarristenplatz: ein doppelter Gitarrenständer mit einer Akustikgitarre und vorne ein Effektboard. Zur Rechten Janne Klings Platz: Saxophon mit Clipmikro und ein Gesangsmikro am Galgen für Querflöte und Hirtenflöte.
Rechts neben Jannes Platz wiederum stand das leere Gehäuse eines mit Wandfarbe weiß gerollten Flügels, natürlich mit geschlossenem Deckel. Statt der flügeleigenen Klaviatur war etwas Digitales eingeschoben, das ich nicht identifizieren konnte – eine ausgewachsene Workstation war es definitiv nicht –, das aber die ganze Show über denselben gesampleten akustischen Pianosound geliefert hat – egal, was bei der jeweiligen Originalfassung von ABBA zu hören ist. Andererseits hätte es seltsam gewirkt, wenn es ausgesehen hätte, als spiele Marcus "Benny" Gorstein einen akustischen Flügel, aber der drahtige Klang eines Yamaha CP-70B zu hören gewesen wäre oder gar etwas gänzlich Synthetisches. Auf der dem Publikum abgewandten linken Seite des Gehäuses führte eine Handvoll Kabel nach draußen, die nicht darauf schließen ließen, daß in dem Flügelgehäuse ein Masterkeyboard für eine leistungsfähigere externe Klangerzeugung saß.
Die Instrumentierung machte von vornherein klar: Das wird Halbplayback. Mit dem, was da auf der Bühne stand, war selbst annähernder ABBA-Sound nicht möglich. Entweder Halbplayback oder ein stark kastrierter Sound, und das macht keine Band auf einem Niveau, das sie statt auf Stadtfestbühnen in Mehrzweckhallen bringt. Also Halbplayback mit Audiozuspielungen.
Ganz zur Linken, also stage right, befand sich ein Digitalmischer mit unklaren Aufgaben. FoH war, wie es sich gehört, hinten auf dem Parkett (wobei es bei Großveranstaltungen mit entsprechendem Platzbedarf für die Technik auch mal mittig auf dem Parkett angeordnet weden kann, aber die Bestuhlung der MuK ist fest verschraubt und läßt diese Anordnung nicht zu); allenfalls als Monitormischer – die Zahl der Monitore auf der Bühne war überschaubar, der einzige ohne In-Ear war Janne Kling – hätte dieses Pult Verwendung finden können. Außerdem wurde von da die Pausenmusik abgefeuert, zumeist Discoklassiker (mit einigen Ausrutschern in Form modernerer Remixes), aber aus irgendeinem Grunde in der Setpause auch "Lay All Your Love On Me" von Erasure.
Den Bühnenhintergrund bildete eine Projektionsleinwand, die auch schon bessere Tage gesehen hatte. Bei anderen Konzerten mit Projektion, die ich schon besucht hatte, wäre der nicht mehr zum Einsatz gekommen. Wenn gerade nichts gespielt wurde, wurde die "Wortmarke" der Band im Mamma-Mia-Stil auf die Leinwand geworfen. Je nach Song sollten die Projektionen allerdings wechseln. (A propos Wortmarke: Die illuminierten ABBA-Schriftzüge, die über der Bühne hingen, entsprachen nicht dem Trademark – das erste B war nicht gespiegelt, dafür waren die As abgeschrägt. Sicher ist sicher.)
Dazu kam dann auch noch eine sechsköpfige Tanzgruppe, die wie die Sängerinnen die Kostüme wechselte. Der Fokus lag also definitiv nicht auf Live-Musik, sondern auf einer Art Nostalgie-Party als Ganzem.
Nun gut, was an Musikern auf der Bühne war, das sang und spielte auch live. Niemand tat so, als ob. Und an sich war das schon eine hochkarätige Band; gerade im ABBA-Tribute-Bereich gibt es Schlimmeres. Ich meine, eine Stümperband hätte es nie geschafft, in eine von Schleswig-Holsteins größten und modernsten Mehrzweck-Veranstaltungshallen zu landen. Der heimliche Held war wohl der Drummer, der etwa im Gegensatz zu Kollegen seiner Zunft nicht ständig wie ein Irrer lostrümmert, sondern einen konstanten Groove auch dezent spielen kann, und dem außerdem die Aufgabe zukam, die Playbacks abzufahren.
Musikalisch kann man das Dargebotene zusammenfassen mit: "Eine Band, die nicht ABBA ist, aber versucht, so auszusehen, spielt 2014 ABBAs Songs." Hier wurde etwas leicht umarrangiert, da wurde etwas ein bißchen anders phrasiert, und dort – sogar bei den Zuspielungen – wurde gar reduziert. Wie bei einem tatsächlichen ABBA-Konzert gab es erheblich mehr Piano als in den originalen Studiofassungen; "Benny" sollte ja auch ohne zusätzliche Synths etwas zu tun haben. Die Drums waren hier und da auch etwas abweichend, wo es eigentlich nicht mal notwendig gewesen wäre, bei "Fernando" und "Super Trouper" etwa fehlten mir ein bißchen die Hi-Hat-Sechzehntel im Refrain. Es wich aber nicht so stark ab wie beispielsweise, als Gary Wallis 1999/2000 in Gizeh für Jarre trommelte, wie wenn er mit The Police auf Tour wäre.