Es ist einmal mehr spannend, darüber nachzudenken. Danke für diesen Thread.
Und, Danke für die Musik.
Es ist Samstag, mieses Wetter draußen, und ich habe Zeit. Sollte ich also abschweifen, entschuldigt bitte.
Ich glaube, Musik muss die Seele berühren. Das schafft bei mir neben klassischer Musik vorrangig die Popmusik der 70er und 80er.
Geprägt als "Hello, hello. Turn your radio on!"-Jugendlicher war durch das Radio unsere Zeit die Zeit der Hitparaden. Dann gab es noch kurz die Phase, als das Video den Radiostar 'killte'. Inzwischen ist Musik ein recht einfach zu produzierendes und ohne Platte, Kassette oder CD schnell digital zu verbreitendes Massenprodukt. Selbst die Mehrzahl der Radiosender generieren nur noch Playlists aufgrund irgendwelcher Algorithmen, welche in Echtzeit durch den Einfluss von Musikvermarkterfirmen generiert werden und nur noch in Nischensendungen durch gute Musikredakteure oder Hörerwunschprogramme gestaltet werden. Sicher gab es den Einfluss der Plattenfirmen damals auch auf das, was im Radio einmal mehr gespielt werden sollte. Entscheidend waren aber immer die verkauften Tonträger. Heute bestimmen schnell geklickte Likes im Vorbeigehen (kurz Reinhören), was zum Trend wird. So schnell wie diese Likes geklickt werden, sind sie aber auch wieder vergessen.
Das, was meine Seele berührte, hielt ich für gute Unterhaltung. Das waren natürlich ABBA und vieles von dem, was eben in den Hitparaden lief. Einfache britische Gitarrenriffs im Foxtrott-Tempo à la
"I don't know why she's leaving, or where she's gonna go
I guess she's got her reasons but I just don't want to know
'Cause for twenty four years I've been living next door to Alice"
Oder eben auch gute Studioproduktionen im gleichen Tempo, z.B. "Rivers of Babylon". Ich war das, was man heute Binge-Listener nennt. Kaum zuhause in meinem Zimmer lief eben Musik. Ich hatte meine eigene riesige UKW-Antenne, um möglichst rauschfrei Stereo mit einem Hifi-Tuner empfangen zu können. Ich hatte natürlich meinen eigenen Plattenspieler. Und ich war Lötkolben-Technikspieler mit Spulentonbandgerät (Vier Spuren, umgebaut, um gleichzeitig wiederzugeben, aufzunehmen und damit hin- und her immer mehr Stimmen hinzuzufügen), unzähligen mittelmäßigen Selbstbauboxen und analogen Mischgeräten. Aus der "Neverending Story" von Limahl hatte ich mal eine fast 30-minütige Fassung aus unzähligen Schnipseln zusammengebastelt, oder auch aus "We belong" von Pat Benatar. Ich mochte Franky goes to Hollywood von "Relax" bis "Welcome to the pleasuredome", Falco "Jeanny", aber auch das komplette Album von Pink Floyd "The Wall" (am Stück, natürlich!).
Meine Seele war wohl hitparadenkompatibel. Meine erste, unbewusste ABBA-Begegnung muss wohl, nach aktuellen Recherchen in der Datenbank meiner Großhirnrinde, "Dance - while the music still goes on!" gewesen sein. Das löst jedenfalls auch heute noch irgendein Gefühl aus, als hätte es das in meiner Erinnerung schon vor dem Namen ABBA gegeben.
Während mein ein Jahr älterer Bruder damals die Beatles hörte und während der Pubertät in den 70ern zunehmend politischer, rebellischer konsumierte (nicht unbedingt selbst politischer wurde), angefangen mit Lennon, später dann Bob Dylan, Neil Young usw., war ich wohl mehr der Softie. Ich spielte Klavier, er spielte Bass. Unsere Eltern ließen uns beide gewähren. Heute, fast 45 Jahre später kann ich sie glücklicherweise noch befragen. Und ich weiß, auch sie hören heute noch das, was damals in unseren Kinderzimmern lief.
Ob wir das über uns in 45 Jahren sagen können? Ich kenne ja nicht mal wirklich diese Musikschnipsel, wenn unsere Tochter hektisch ihr Smartphone mit dem Autoradio verbindet, um uns irgendwas 'cooles' vorzuspielen und dann doch nur bruchstückhaft durch unsortierte mp3-Ordner zappt.
Ich verweigere mich nicht der aktuellen Musik. Natürlich gibt es auch heute noch gute Produktionen. Aber neues, was meine Seele berührt, ist seltener geworden.