Das VISITORS-Album - Meisterwerk oder überbewertet ?

  • Inspiriert durch einen neuen Eintrag in einem anderen Thread bin ich gerade wieder mal auf eine andere Frage gestoßen, die in der ABBA-Gemeinde schon sehr oft für Diskussionen gesorgt hat.....


    Nämlich auf die Frage, wie man das VISITORS-Album von ABBA bewertet und einschätzt...


    Ist es ein Meisterwerk oder ist es überschätzt ?.


    Wohl kein anderes ABBA-Album hat in der Vergangenheit für solch konträre Diskussionen gesorgt wie dieses letzte der 8 Studioalben von ABBA......


    Manche halten es für ein Meisterwerk oder gar einen Meilenstein der Popmusik-Geschichte, andere wiederum haben mit dem Album Schwierigkeiten, weil es ihnen zu düster, negativ oder trostlos ist.....


    Nicht viel anders ist das hier im Forum, wo es seine begeisterte Fans hat, aber auch seine Skeptiker


    Ich muss zugeben, dass ich mich in meiner persönlichen Bewertung dieses Albums schon immer relativ schwergetan habe, schwerer jedenfalls als bei jedem anderen der 7 ABBA-Alben.........Ich halte es auf der einen Seite schon auf gewisse Art für ein Meisterwerk, aber anderereits halte ich es innerhalb der 8 ABBA-Alben auch für überbewertet........


    Grund dieser sehr ambivalenten Bewertung dieses Albums ist für mich die relativ große Diskrepanz in meiner Wahrnehmung der einzelnen Lieder.....


    So verfügt dieses mit 9 Liedern bestückte Album nach meiner Meinung über 3 der größten und auch auf diverse Art anspruchsvollsten Liedern der gesamten ABBA-Geschichte, die für mich den kompletten Zauber dieses Albums ausmachen.....


    Das sind die 3 Lieder ONE OF US, SOLDIERS und SLIPPING THROUGH MY FINGERS,.....für mich allesamt absolute Perlen der ABBA-Geschichte.....


    ONE OF US ist für mich "ABBA at their best"........Das ist für mich ABBA in seiner ursprünglichsten Form mit allen Zutaten, die ABBA musikalisch groß gemacht haben und gleichzeitig mit allem musikalisch-technischen Raffinessen auch der späteren ABBA-Phase......Die sehnsuchtsvoll-melancholische Grundstimmung des Songs ist verzaubernd und musikalisches Arrangement und Gesang machen das Lied, das der letzte Nummer-1-Hit von ABBA war, zu einem Meisterwerk....


    SOLDIERS ist für mich ebenfalls ein Meisterwerk pur........Es ist für mich das unterschätzteste Lied in der gesamten ABBA-Geschichte und einfach grandiose Popmusik. Die Ambivalenz des Liedes, in der eine fast lieblich zu nennende Grundmelodie in einem modifizierten Walzertakt von einer extrem unheilvollen Lyrik konterkariert wird, verleiht dem Lied eine Atmosphäre, die einem manchmal fast den Atem stocken lässt, vorgetragen mit einem durchdringend intensiven Gesang....


    SLIPPING THROUGH MY FINGERS schliesslich ist ein Meisterwerk von gelebter Authentizität in einem Musikstück. Es ist das einzige wirklich autobiographische Lied ABBA's, das mit seiner Thematik uns fast alle irgendwie angeht und betrifft. Es ist ein grandioses Beispiel, was und wie man ein Lied nur über seinen Gesang steuern und ihm seine identität geben kann. Hier in diesem Falle eine sehr persönliche und fast intime Identität.


    Alleine diese 3 Meisterwerke machen für mich das VISITORS-Album zu einem ganz besonderen Album....


    Und im Kontext der Tatsache, dass alle diese 3 so großen Werke von Agnetha gesungen wurden, hat das bei mir auch dazu geführt, dass das VISITORS-Album seinen Zauber für mich persönlich auch vor allem über Agnetha definiert wird.......


    Nun aber komme ich zu meiner persönlichen Kehrseite dieses Albums......


    Und die ist leider so, dass ich mit 5 der 9 Lieder dieses Albums leider nicht so viel anfangen kann, die bei mir allesamt weit hinten in meiner persönlichen Rangliste aller ABBA-Lieder liegen, auf den Plätzen 72, 73, 78, 101 und 107 aller 107 ABBA-Lieder........Und das ist schon gewaltig, wenn man konstatiert, dass das immerhin mehr als die Hälfte der Songs dieses Albums ist.........Ich konnte mich mit keinem dieser 5 Songs je so richtig erwärmen....


    Da ist das Lied VISITORS, das sich für mich immer viel mehr nach BEATLES als nach ABBA angehört hat........Es ist zweifellos kein schlechtes Lied, aber es war für mich nie so wirklich ABBA, so wie ich ABBA hören wollte.


    Dann kommt da I LET THE MUSIC SPEAK.......Zweifellos ein starkes Lied, das auch großartig von Frida gesungen wurde, ein wunderbares Beispiel für die Musical-Affinität von ABBA. Aber genau das ist auch das Problem für mich, denn das Lied ist eben Musical pur und hat relativ wenig mit der Popmusik zu tun, für die ABBA für mich immer standen und wie ich sie hören wollte...


    WHEN ALL IS SAID AND DONE wiederum ist ein Lied, das für mich persönlich nicht wirklich gut arrengiert wurde. Für mich ist sein musikalisches Arrangement viel zu hart und abgehackt. Ich hätte mir dieses Lied, nicht zuletzt auch bezüglich seiner eigentlich versöhnenden Lyrik, mit einem viel weicheren und harmonischeren Arrangement gewünscht....


    Dann ist da TWO FOR THE PRICE OF ONE, das für mich schlicht und ergreifend einfach eines der schwächsten ABBA-Lieder ist, ein uninspiriertes Lied ohne Highlights....


    Und dann ist da noch LIKE AN ANGEL PASSING THROUGH MY ROOM, inzwischen ein Klassiker auf Beerdigungen, karg und düster, trostlos und morbide, ein verklausulierter Sterbesong und das ABBA-Lied, mit dem ich am wenigsten anfangen kann und das auch das Einzige ist, das mir ein richtig schlechtes Gefühl gibt, auch wenn ich weiss, dass es auch seine Anhänger hat....


    Wie also ein Album bewerten, das über 3 absolute Meisterwerke der Popmusik-Geschichte verfügt und gleichzeitig aber auch mit 5 Songs bestückt ist, die einen weniger berühren bzw. die man auch mit einer gewissen Kritik sieht ???


    Das einzige Lied, dass ich hier jetzt noch nicht erwähnt habe, ist das lied HEAD OVER HEELS, dass bei mir sozusagen zwischen diesen beiden Welten liegt.........Es ist ein Lied, das mir sehr gut gefällt und dessen Gesang und Arrangement ich für sehr reizvoll halte, das aber nicht an die zuvor beschriebenen 3 Klassiker des Albums herankommt....Andererseits empfinde ich es als deutlich passender bzw. besser, als die anderen 5 Lieder des Albums, weil man hier das Optimum herausgeholt hat....


    Und so bleibt bei mir immer ein sehr ambivalentes Gefühl für dieses VISITORS-Album.........Ich liebe es wegen dieser 3 Agnetha-Klassiker, die alle 3 für mich eine extrem große Bedeutung haben......Aber bei über der Hälfte der Songs habe ich eben auch das Gefühl, nicht das Richtige zu hören, was ich jetzt gerne hören würde......Beatles-Style anstelle von ABBA, Musical anstelle von Pop, hart arrangiert anstelle von weich und harmonisch, langweilig anstelle von spannend, Sterbesong anstelle von exaltierter Unbekümmertheit.....


    Ich liebe das Album aber trotzdem und habe es über die Jahre und Jahrzehnte auch unzählig oftmals gehört.......Geskippt habe ich allenfalls LIKE AN ANGEL ab und zu......und seitdem es die DELUXE-Ausgabe gibt, auf der sich dann noch der ultimative ABBA-Agnetha-Klassiker THE DAY BEFORE YOU CAME befindet, ebenso das dynamische I AM THE CITY und das geheimnisvolle UNDER ATTACK, da hat diese Scheibe für mich natürlich an Attraktivität noch weiter gewonnen und ist in dieser Konstellation auch wieder öfter gelaufen...


    Meisterwerk oder (im Kontext der ABBA-Alben !!!) überbewertet ???.........


    Für mich weiterhin eine offene Frage....

  • Ob man THE VISITORS als Meisterwerk bezeichnen kann oder ob es überbewertet ist, kann ich so nicht beantworten.


    Die Tatsache, dass nach fast 40 Jahren bei den Kritikern und bei der Fangemeinde, dieses Album immer wertvoller wird und oft auch als ihr bestes bezeichnet wird, zeigt für mich eindeutig, dass ABBA damals der Zeit weit voraus waren.
    Die grosse Masse wollte damals von ABBA weiterhin Gute-Laune Popsongs, obwohl die 80er Jahre mit New Wave, Synthi Pop, New Romance eher ein kühles (cooles) Jahrzehnt war.
    Alle mussten cool sein, cool drein schauen, cool angezogen sein ..... Schaut euch mal Fotos der 80er an. Da wurde nie gelacht. Der Blick musste streng oder eben cool sein.


    ABBA haben diese Gemütslage mit dem Album THE VISITORS sehr gut eingefangen. Wir waren damals auch mitten im Kalten Krieg, entsprechend haben sich ABBA mit den Songs The Visitors (Crackin’ Up) und Soldiers diesem Thema angenommen.


    Mit One Of Us haben sie noch einmal einen typischen ABBA Song aus dem Ärmel geschüttelt und trendgerecht eine Prise Reggae reingetan.
    Reggae war zu jener Zeit absolut top in den Charts vertreten, so u.a. durch Bob Marley, Jimmy Cliff, Peter Tosh, UB40 um nur ein paar zu nennen.


    Mit I Let The Music Speak haben B+B gezeigt in welche Richtung sie zukünftig gehen wollen. Es ist aus meiner Sicht ein Musical Song der Sonderklasse, hervorragend von Frida gesungen.


    SLIPPING THROUGH MY FINGERS wäre auch eine sehr gute Wahl für eine Single gewesen. Mit Sicherheit Hit-Potential.


    When All Is Said And Done oder Soldiers wären auch als Singles sehr erfolgreich geworden. Da bin ich ziemlich überzeugt davon.
    Soldiers mit seinen dominanten Drums, sicher inspiriert vom damaligen Top-Hit "In The Air Tonight" von Phil Collins oder Max Werner's "Rain In May".


    Ich mag mich gut erinnern, als ich das Album das erste Mal aufgelegt habe und da kam dieses unheimliche "THE VISITORS". Ich hatte Gänsehaut und konnte nicht glauben, was hier ABBA hier geschaffen hatten. 8o Ich war und bin auch heute noch absolut begeistert von diesem Song. Auch weil es nicht ABBA like ist.
    Der Vergleich zu Beatles "Tomorrow Never Knows" hat sich für mich nie ergeben, auch weil ich es damals gar nicht gekannt habe. Das Einzige, was mich heute an den Beatles Song erinnert, ist dieser "orientalische" Touch, mehr nicht.
    Und wenn B+B vielleicht wirklich durch diesen Beatles Song inspiriert wurden, so haben sie einen um Längen besseren Song geschaffen.


    Wenn ich damals noch nicht ABBA Fan gewesen wäre, mit diesem Song wäre ich es definitiv geworden.
    Es ist ähnlich wie beim Album von SAGA - SILENT KNIGHT, welches 1981 erschienen ist. Ich war im Plattenladen und habe mir nur den ersten Song "DON'T BE LATE" angehört und habe das Album gleich gekauft. Davor habe ich keinen Song von SAGA gekannt. Das habe ich zuvor mit keinem Album gemacht.
    Ich hätte THE VISITORS auch gleich gekauft. :thumbup:


    HEAD OVER HEELS ist ein sehr guter arrangierter Pop-Song mit witzigem Text und Video und dennoch eine komplette Fehlentscheidung für mich diesen Song als Single auszukoppeln. Ich weiss noch, wie ich damals absolut enttäuscht war, als es als Single rauskam. Und nicht, z.B. SOLDIERS oder eben die B-Seite THE VISITORS. Ich wusste gleich, dass dieser Song keinen Erfolg haben wird. In der Schweiz kam der Song nicht mal in die Single Charts (Top15), in Deutschland nur auf Platz 19. In UK nur auf Platz 25.
    Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass HEAD OVER HEELS neben I HAVE A DREAM die "schlechteste" ABBA Single ist.


    Am Ende der Fahnenstange ist und zwar mit deutlichem Abstand TWO FOR THE PRICE OF ONE. Ich begreife heute noch nicht, wie es dieser Song aufs Album schaffte und dagegen SHOULD I LAUGH OR CRY nur als B-Seite von ONE OF US veröffentlicht wurde. Auf meiner Bestenliste nimmt er nur Platz 96 von 107 ABBA Songs ein.


    Kommen wir zur schönen Abrundung dieses für mich damals wie auch heute noch bestem ABBA Album:
    LIKE AN ANGEL PASSING THROUGH MY ROOM
    Es ist einerseits düster aber auch versöhnlich und einfach herrlich von Frida gesungen. Für mich ist es wie ein schönes Gute-Nacht Lied. Ich liebte es schon nach dem ersten Hören.


    Es ist unbestritten, dass die sogenannte Fachwelt und viele ABBA Fans damals mit diesem Album vor den Kopf gestossen wurden.
    Man wollte wohl einfach Gute-Laune Pop Songs haben. Diese Zeit war aber vorbei.
    Ich liebte THE VISITORS von der ersten Sekunde an. Für mich standen ABBA eben nicht nur für Gute-Laune Songs, sondern eben auch für die immer komplexeren Arrangements und der musikalischen Fortschritte.
    Und Agnetha und Frida haben da locker mitgehalten und haben sich in den letzten beiden Alben nochmals enorm gesteigert.


    Ja okay, jetzt gebe ich es zu : THE VISITORS ist für mich ein Pop-Meisterwerk !!!

  • Vielen Dank, Charly, für Deine wirklich hochinteressant zu lesende Wahrnehmung und Meinung zu dem VISITORS-Album, die ich allerdings genau so erwartet habe, denn schliesslich weiss ich ja, dass dieses Album Dein ABBA-Lieblings-Album ist...


    Man kann mit jedem Buchstaben Deine Begeisterung und Wertschätzung für dieses Album herauslesen und das finde ich Klasse....


    Da haben sich mit uns Beiden wohl sofort jene beiden Meinungen zusammengefunden, die dieses Album bis heute begleiten, nämlich komplette Begeisterung und zumindest eine gewisse Skepsis


    Ich möchte jedoch hier einige Wahrnehmungen, wie ich sie damals erlebt habe, nochmals deutlich machen....


    Du schreibst, dass alle Welt von ABBA nur "Gute-Laune-Popsongs" erwartet hätten und ABBA dann ihnen etwas ganz Anderes geliefert hätten...


    Das aber kann ich beispielsweise für mich so NICHT bestätigen....


    Wie Du weisst, bin ich z.B. ein totaler Riesenfan von den Liedern THE WINNER TAKES IT ALL und LAY ALL YOUR LOVE ON ME aus dem damaligen Vorgängeralbum von ABBA.....Auch das sind ja alles Andere als "Gute-Laune-Songs", sondern es sind viel mehr problembeladene Songs über Trennung und krankhafte Eifersucht mit schon klaren Einflüssen der 80er wie bei LAYLOM, welches Synonym für den Electro-Pop-Sound des folgenden Jahrzehnts war.........Das waren für mich Meisterwerke, die wirklich ihrer Zeit weit, weit voraus waren......


    Ebenso ja auch Songs wie SOLDIERS und SLIPPING THROUGH MY FINGERS, die ja auch auf der einen Seite düster und auf der einen Seite melancholisch waren und sicherlich keine "Gute-Laune-Songs"..........Ebenfalls musikalisch-künstlerisch absolutee Meisterwerke....


    Und das bald folgende THE DAY BEFORE YOU CAME war ja auch alles Andere als das ABBA der 70er Jahre, war eine vollkommene Abkehr von ihrem fröhlichen Sound und es ist trotzdem mein zweites ABBA-Lieblingslied, von dem ich jetzt bereits fast 40 Jahre vollkommen begeistert bin und dass ich für eines ihrer allergrößten Meisterwerke halte...


    Der Grund, warum ich von 5 der 9 Songs auf VISITORS kein wirklicher Fan bin, lag und liegt weder an einer grundsätzlichen Ausrichtung von ABBA damals, lag auch nicht an irgendwelchen Trends oder daran, dass mir ihre Grundstimmungen zu düster oder negativ waren, sondern das liegt einfach an jedem dieser Songs selbst und an ihrer musikalischen Identität oder ihrem musikalischen Potential.......Wie bei Dir auch bei mir eine sehr persönliche Wahrnehmung....


    Dass wir beide das Lied VISITORS dabei unterschiedlich wahrgenommen haben, ist dabei für mich eine vollkommen nachzuvollziehende Tatsache.........Du kanntest beispielsweise das Lied TOMORROW NEVER KNOWS nicht und warst sofort davon begeistert........ich dagegen war damals seit über 10 Jahren ein Riesen-Beatles-Fan und ich kannte diese Art von Musik nicht nur aus TOMORROW NEVER KNOWS, sondern aus einer ganzen Reihe von ihren Liedern, die sie ähnlich arrangiert und aufgebaut hatten, mit Sitarklängen und all diesen Dingen, Und ich war damals richtig irritiert, als ich dann ABBA's Lied VISITORS hörte........Bei WHEN ALL IS SAID AND DONE gefällt mir einfach das musikalische Arrangement des Liedes überhaupt nicht. Das Lied ist ja in der Folgezeit von einigen Künstlern gecovert worden und unter diesen Covern befanden sich einige Beispiele, wo WAISAD genauso gecovert wurde, wie ich es mag, viel weicher und harmonischer in einer Form, wo die schöne Melodie des Liedes nach meinem persönlichen Empfinden viel besser zur Geltung kommt. ........Und was LIKE AN ANGEL betrifft, so spaltet dieses Lied ja ohnehin die ABBA-Fangemeinde in 2 Teile. Entweder man "liebt" dieses Lied oder man "hasst" dieses Lied, dazwischen gibt es kaum etwas........Als ich zum ersten Mal diese "tickende Uhr" hörte und dann direkt dahinter diesen Text, fröstelte es mich schon und ich konnte schon beim allerersten Hören kaum fassen, was ABBA da für einen trostlosen Trauersong ans Ende ihres vielleicht letzten ABBA-Albums gesetzt hatten...Ein Lied, das für mich völlig uninspiriert war.......Damals gab es ja schon Trennungsgerüchte und keiner wusste, ob ABBA jemals noch weitere Lieder oder ein weiteres Album herausbringen würden und mich schockte es damals förmlich, dass dieses in meinen Augen so uninspirierte Lied das letzte Lied von ABBA gewesen sein könnte.....Sollte das das Ende sein ?.....Ich konnte mit dieser Morbidität überhaupt nichts anfangen........Dass ich damals dieses Lied nicht "falsch" wahrgenommen habe, zeigt mir auch die Tatsache, dass es in den folgenden Jahrzehnten ein beliebtes Lied bei Beerdigungen wurde.......Okay, aúch das ist ein bestimmtes Qualitätsmerkmal, aber keines, welches ich hören wollte....


    Dagegen war für mich die WAHL von HEAD OVR HEELS damals als zweite Singleauskoppelung keine Fehlentscheidung........Es ist in meinen Augen und Ohren ein herrlich selbstironisches Lied, das aus der Düsterheit des ganzen Albums irgendwie herausragt und perfekt arrangiert ist........ABBA haben sich damit also quasi gegen den damaligen Trend entschieden........Sicherlich wäre SLIPPING THROUGH MY FINGERS das bessere Lied gewesen, aber ich konnte damals die Entscheidung von ABBA durchaus nachvollziehen........WAISAD stand damals für eine weltweite Auskoppelung nicht wirklich zur Debatte, aber das hatte andere gruppendynamische Gründe.


    Was ich mit alldem also sagen will.........Mein Fazit sozusagen........


    Nein, ich war als langjähriger ABBA-Fan damals keineswegs von diesem Album "vor den Kopf gestoßen".......und ich wollte auch überhaupt kein "Gute-Laune-Album"........das war damals weder mein Wunsch noch meine Erwartung an dieses Album.........Diese Differenzierung ist mir wichtig..........Ich gehörte damals wie gesagt zu den größten Fans eines LAY ALL YOUR LOVE ON ME, ein Lied mit einem tief-zynischen Text über das Thema krankhafte Eifersucht........Ich war nie ein spezieller Electro-Pop-Fan, aber dieses Lied liebe ich bis zum heutigen Tag....Und Agnetha und Frida haben da für mich nicht nur mitgehalten, sondern beispielsweise Agnetha war bei einem Lied wie LAYLOM oder später auch bei THE DAY BEFORE YOU CAME gewissermaßen der Motor für die jeweiligen grandiosen Arrangements dieser Lieder.....


    Es waren einfach einige der Lieder des VISITORS-Album selbst und nicht ihre generelle musikalische Ausrichtung, weswegen ich jetzt kein ausgesprochener VISITORS-Fan bin.........Wohlgemerkt, ich schreibe das immer im Kontext der ABBA-Musik..........denn allgemein musikalisch im Vergleich zu anderen Gruppen und Künstlern bleibt auch für mich THE VISITORS ein Meisterwerk....


    Ich bin aber immer auch jemand, der sich selbst hinterfragt.......und deswegen habe ich mir gestern einmal die Mühe, aber auch den Spaß gemacht, mir meine Platzierungen in unserem Thread über die 107 ABBA-Lieder anzuschauen und diese Platzierungen der Lieder mal zu addieren und einen persönlichen Durchschnitt aller ABBA-Alben zu ermitteln..........Ich erhielt dadurch 2 Erkenntnisse........Zum Einen habe ich festgestellt, dass diese bis auf RING, RING dichter beieinanderliegen, als ich das ursprünglich gedacht habe...... ...zum Zweiten aber erhielt ich die Bestätigung, dass das VISITORS-Album in meiner persönlichen Wertung der einzelnen Songs gemeinsam mit dem WATERLOO-Album nur auf den Plätzen 6 und 7 liegt, was mein generelles Empfinden also bestätigt hat.....


    Aber das alles sind und bleiben natürlich persönliche Wahrnehmungen und Erfahrungen, die jeder anders sieht........und das ist auch gut so........


    Und das beste ist doch, dass dieses Album auch 40 Jahre danach noch immer Gegenstand solcher Diskussionen sein kann......Etwas, wovon andere Gruppen und Künstler träumen...
    .

  • Es ist eine gute CD. Die Tatsache, dass die Songs ernst und ausgereift sind, bedeutet nicht, dass es ein Meisterwerk ist. Die Songs funkeln wenig oder gar nicht und man kann hören, dass der Spaß nachgelassen hat. Mein Lieblingsstück ist der Anfang von One of Us. Ich liebe die Madolinen und dann die Art und Weise, wie Agnetha das Lied eröffnet. Am liebsten mag ich Soldiers und Slipping through my fingers. Die anderen Songs sind gut oder ziemlich gut, ich mochte den Titeltrack damals, aber jetzt denke ich, dass er veraltet ist. Ich höre die Traurigkeit in Fridas Stimme nicht auf When all is said and done. Ich höre nur etwas Aggressivität. I let the music speak, hätte für Chess verwendet werden sollen. Dort wäre es angemessener gewesen. Two for the price of one; ein von Björn gesungenes Lied passt nicht mehr in diese Phase, denke ich. Head over Heels ist nett, aber nicht großartig. Like an angel...., ist ein gutes Lied zum Schluss. Die CD ist zu schwer und düster geworden. Für ist The Visitors überbewertet.
    Schließlich sollte "should I laugh or cry" nicht auf die CD gehören, weil es nicht stark genug ist, obwohl es Charme hat.

  • Als ich die " The Visitors " LP 1981 bekam ( ich war damals 16 Jahre alt ) betrachtete ich als erstes sehr lange das Cover, da es in seiner Art völlig fremd auf mich wirkte, die Distanz der ABBA Mitglieder, die traurige Mimik, die vielen Bilder und das große Gemälde mit dem Engel, die düsteren Farben, es war alles irgendwie so anders. Zu diesem Zeitpunkt damals besaß ich übrigens nur die Waterloo, die Dancing Queen ( Amiga ), die The Album und die Voulez-Vous LP's. Letztere und die The Visitors waren die einzigen Platten die ich zeitnah zum Erscheinen bekam.



    Nächster Gedanke : wieso nur 9 Lieder ?
    Ich legte die Platte auf und beim Titellied dachte ich am Anfang läuft mein Plattenspieler nicht richtig ? War das wirklich ABBA was ich hörte ? Erst beim Refrain kam dann so ein bißchen ABBA Feeling auf. Über die Bedeutung der Texte konnte ich damals nicht viel sagen, ich achtete eben mehr auf die Melodie. Head over Heels klang da schon ganz anders, When all is said an done klang traurig und obwohl tanzbar war mir der Song irgendwie zu " hart " arrangiert, nicht so dicsomäßig wie ich es vom Voulez-Vous Album kannte. Soldiers hatte eine schöne Melodie, aber eben auch wieder eine Traurigkeit und langsam fiel mir auf das die Stophen nicht mehr von A & F gemeinsam gesungen wurden, nur die Refrains. I let The Music speak gefiel mir ganz gut, ist zwar ein Frida Titel aber wenn Agnetha im Hintergrund mitsingt klingt das richtig toll. One of uns kannte ich schon zu der Zeit, ein Hit und es war ABBA wie ich das mag. Wieso muß er denn singen dachte ich beim nächsten Lied, aber den Refrain fand ich gelungen, die Vielstimmigkeit gefiel mir sehr. Wieder traurig und wunderschön dann Slipping trough my fingers, ich konnte mir vorstellen das der Text mit einem Kind zu tun hatte ( Schoolbag wußte ich zu deuten ). Und zum letzten Song meine ersten Gedanken, warum ist Agnetha denn nicht mit dabei ?


    The Visitors ist ein Album welches sich erst im Laufe der Zeit mir erschloß, ich hörte es immer und immer wieder und man darf nicht vergessen über die Hintergründe zur Entstehung der LP wußte ich nichts, kannte nur das wenige was im Radio berichtet wurde, es war eine Zeit ohne Internet. Leider hatte ich auch niemanden mit dem ich mich da irgendwie austauschen konnte und saß da so ziemlich allein und versuchte diese Platte zu verstehen.


    Die Gestaltung des Plattencover und die Lieder der LP an sich passten irgendwie zusammen. Und ich ahnte dass es keine weitere LP geben wird, dachte die machen jetzt nicht mehr lange ......


    Aus heutiger Sicht kann ich sagen diese LP ist ein Meisterwerk, weil sie auch zum wiederholten hören verleitet, wenn man versucht zu interpretieren was einem die Texte der Lieder sagen könnten, welche Bedeutung sie haben. Es ist zu spüren dass bei den Aufnahmen im Studio eine frostige Atmosphäre herrschte, es fehlt das fröhliche, das leichte, was man von den ABBA Liedern gewöhnt war. Und trotzdem zog mich diese Platte von Anfang an in eine Art Bann, sie gehört bis heute zu den von mir am meisten gehörten ABBA LP's.


    .........und dann kam ein Jahr später "The Day Before You Came ", was an Traurigkeit kaum noch zu überbieten war .....

  • Ich höre die Traurigkeit in Fridas Stimme nicht auf When all is said and done. Ich höre nur etwas Aggressivität


    Genau das ist auch mein Problem mit WHEN ALL IS SAID AND DONE......


    Es ist ein Trennungslied, dass Traurigkeit, Melancholie, aber auch Hoffnung vermitteln soll......aber all das hört man nicht.......Es ist viel zu hektisch und zu hart arrangiert und man hört eher Aggressivität anstelle von Traurigkeit und Melancholie...


    Ich bin ja jemand, der schnelle Pop-Songs mag......aber für WAISAD passt das für mich einfach nicht und ist überhaupt nicht stimmig zur sehr versöhnungsvollen Lyrik


    Der Vergleich mit der ersten Trennungslied THE WINNER TAKES IT ALL war da für mich immer wie Nacht und Tag........


    Und nicht zuletzt kommt bei diesem viel zu hektischen Arrangement auch die schöne Melodie nicht richtig zur Geltung....


    In einer balladeskeren Form hätte es nach meiner Meinung viel besser und stimmiger zu seiner Lyrik gepasst...


    Ein gutes Beispiel dafür ist die schöne Version von VIKTORIA TOLSTOY


    https://www.youtube.com/watch?v=OVLBcmnSQeE
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  • Du schreibst, dass alle Welt von ABBA nur "Gute-Laune-Popsongs" erwartet hätten und ABBA dann ihnen etwas ganz Anderes geliefert hätten...


    Das aber kann ich beispielsweise für mich so NICHT bestätigen....

    Ja, das war jetzt natürlich etwas überspitzt ausgedrückt. Ich meinte natürlich nicht jeden einzelnen ABBA Fan, ich meine eher die grosse Masse und das zeigten ja auch die Verkaufszahlen sehr deutlich.


    Währenddem zwar das Super Trouper Album auch noch in vielen Ländern eine Nummer 1 war, waren bereits die ausgekoppelten Singles wie "Super Trouper" oder "The Winner Takes It All" bereits nicht mehr in den meisten europäischen Ländern eine Nummer 1 in den Single Charts (UK war da eine Ausnahme).
    Mit der Single "One Of Us" wurde es noch schlimmer: nur z.b. in Deutschland eine Nummer 1.


    Das meine ich damit, die Singles zwischen 1975 und 1979 wurden allesamt Nummer 1 Hits und das weltweit und fast in allen Ländern.
    Etwas hatte sich verändert und die neuen Songs waren nicht mehr so gefragt wie davor, als sozusagen noch alles "schön" war.
    Dieses Märchen einer harmonischen Popgruppe mit 2 Paaren.


    Nächster Gedanke : wieso nur 9 Lieder ?

    stimmt, daran habe ich damals auch gedacht. Es war wohl ein starkes Zeichen dafür, dass es zu Ende geht..... :(

  • Zitat

    stimmt, daran habe ich damals auch gedacht. Es war wohl ein starkes Zeichen dafür, dass es zu Ende geht..... :(


    Ich finde, so kann man das nicht sehen. "The Album" hatte insgesamt auch 9 Lieder (Wenn man die Lieder des Mini-Musicals abzieht sogar nur 6). Genauso ist es bei dem "Super Trouper" Album. Wenn man den Livetrack "The Way Old Friends Do" abzieht, sind es auch "nur" 9.

  • Ich finde, so kann man das nicht sehen.

    Doch eben schon.
    Man muss vorallem anschauen, wieviele Songs andere Bands auf ein Album damals packten. Und mit diesen vergleichen.
    Beispiele aus 1981:
    E.L.O - TIME 11 Songs (ohne die Prologue)
    Barclay James Harvest - TURN OF THE TIDE 10 Songs
    Genesis - ABACAB 9 Songs (aber Lauflänge von 47 Min !)
    Rolling Stones - Tattoo 11 Songs


    Und dann eben die Lauflänge: Die ist bei THE VISITORS mit 37:39 Min sehr sehr kurz. Normalerweise waren die Alben um jene Zeit herum 40-45 Min lang, einzelne sogar noch viel länger. Extremes Beispiel: BONEY M - BOONOONOONOOS fast 60 Min lang (13 Songs) !


    Und bei THE ALBUM waren es zwar auch 9 Songs, aber eine Laufzeit von immerhin 44 Min.
    SUPER TROUPER hat eine Länge von 41:57 Min und den THE WAY OLD FRIENDS DO war damals ein neuer Song, warum sollte man den da abziehen?
    Auch VOULEZ VOUS war über 41 Min lang.

  • Ich finde, Ihr vergesst immer "Should I Laugh or cry" was für mich immer der 10te Song war...nur weil er nicht auf dem Album ist sondern nur als B-Seite sein Dasein fristen mußte, waren es aber doch 10 neue Songs.


    Ich meine auch damals mal irgendwo gelesen zu haben, dass auch ein Grund war, warum er nicht mehr auf dem Album war, dass wegen der da noch beliebten Musikcassetten der Song nicht mehr drauf paßte, weil die Lauflängen der beiden Seiten sonst zu unterschiedlich gewesen wären. Ich weiß leider die Quelle nicht mehr und wer es gesagt hat, es stand aber in irgendweinser dieser Musik/Jugendzeitschriften....mein Gott, das ist aber auch schon lange her.... :lol:


    Naja, werde ja auch dieses Jahr noch 55 Jahre alt...Ach so, ich halte "The Visitors" für ein Meisterwerk...und in der Deluxe-Edition ist es unschlagbar meine Lieblings-CD, weil da dann auch noch "The Day Before You Came" drauf ist...und das wiederum ist mein Platz 1 aller ABBA-Songs

  • Also in diesem Falle muss ich eigentlich auch ABBALive zustimmen, Charly....


    Ich denke nicht, dass man aufgrund einer Anzahl von Songs auf das Ende einer Gruppe schliessen kann......Da könnte ich Dir jetzt auch eine Reihe von Gegenbeispielen aufzählen....


    Und wenn Du schon die Quantität der Songs, die ABBA damals im Studio aufgenommen haben, als Kriterium nimmst, dann darfst Du dann auch THE WAY OLD FRIENDS DO beim ST-Album in der Tat nicht mitzählen, denn da haben ABBA im Studio nichts dazu beigetragen


    Und während es sich beim VISITORS-Album bei fast allen Songs um wirklich neue Songs handelte, waren beispielsweise beim ST-Album das gesamte Mini-Musical nicht mehr neu, denn das hatten ABBA ja bereits in der Tour zuvor gesungen.....


    Und dass das VISITORS-Album durch die Erweiterung des Pop durch klassische und musicalhafte Elemente ein großes Qualitätsmerkmal aufweist, ist sicherlich richtig, aber den gab es auch schon zuvor bei einigen ABBA-Alben.....Dass diese musikalische Vielfalt auf dem VISITORS-Album das Album gewissermaßen zu einem Kunstwerk machen, ist sicherlich ebenfalls zutreffend, aber für mein Empfinden haben ABBA eben bei einigen Songs diese Vielfalt nicht immer perfekt umgesetzt, so wie etwa bei WHEN ALL IS SAID AND DONE und ebenso auch bei LIKE AN ANGEL PASSING THROUGH MY ROOM.........Nicht umsonst sagte ja beispielsweise Agnetha Fältskog dazu, dass man "bei diesem Lied immer auf etwas warten würde, was dann aber niemals kommt" und sie sagte ebenfalls, "dass sie aus diesem Lied nicht das Richtige gemacht hätten"..........Und ich denke, das ist eine sehr ehrliche und auch zutreffende Einschätzung dieses Songs von jemand, der das wohl sehr realistisch beurteilen kann...........ABBA's zahllose und für mich auch vergebliche Versuche, aus diesem Lied "das Richtige" zu machen, betätigen da auch sehr gut Agnetha's Worte..........Und bei I LET THE MUSIC SPEAK ist eben mein großes Problem, dass es zwar ein schönes Lied ist und auch sehr schön gesungen ist, dass es aber an der Aufgabe gescheitert ist, ein musicalhaftes Lied mit Elementen aus der Popmusik zu verbinden......Ich habe schon immer solche Art von genreübergreifenden Crossover-Werken sehr wertgeschätzt, aber I LET THE MUSIC SPEAK bietet das für mich nicht und man hat da für mich auch eine Chance verpasst, denn I LET THE MUSIC ist ein reines Musical-Werk und hat absolut nichts mit Popmusik zu tun bzw. verfügt über keine Elemente aus diesem Genre und hat für mich auf einem popmusikalischen Album eigentlich nicht ganz soviel zu suchen........Es wäre ein großartiges Werk innerhalb von CHESS geworden, aber es war nach meiner Meinung eher unpassend für ein popmusikalisches Album........Vielfalt ist großartig, sollte aber auch die verschiedenen Elementen verbinden, was ich bei ILTMS nicht sehe.......Was das Lied VISITORS betrifft, so hat es für mich nicht annähernd die Faszination von SOLDIERS........Beides sind ja sehr unheilvolle Lieder mit einer Art von Untergangsszenario. Was aber bei SOLDIERS genial gelöst wurde und das Lied zu einem wirklichen, zeitlosen Meisterwerk macht, indem man diese liebliche Melodie mit dem modifizierten Walzertakt mit der unheilvollen Lyrik konterkariert hat, was das Lied somit mit einem absoluten (positiven) Gänsehaut-Effekt versehen hat, kann das VISITORS-Lied für mich ganz und gar nicht bieten.......Das Lied ist viel profaner aufgebaut und hat dadurch auch nicht diese Zeitlosigkeit wie SOLDIERS.......Tja, und TWO OF THE PRICE OF ONE ist eher langweilig......Die Zeit, wo Björn gesanglich ein Lied zu einem Album beitragen sollte, war eigentlich lange vorbei....


    VISITORS bleibt für mich ein phantastisches Album mit 3 grandiosen Meisterwerken.........Aber ob ich deswegen das gesamte Album als Meisterwerk bezeichnen kann, weiss ich nicht....
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  • Ich finde dieses Thema sehr interessant und auch die Fragestellung sehr reizvoll gewählt. Ich liebe das Album sehr und es gehört zu meinen Favoriten von ABBA. Meist fällt es mir sehr schwer, zwischen Super Trouper und The Visitors als meinem Favoriten zu wählen. Super Trouper war ausgeglichen und in vielerlei Hinsicht perfekt zusammengestellt, mehr oder weniger ein Werk aus einem Guss. The Visitors ist ambivalent in vielerlei Hinsicht. ABBA wurden hier experimentierfreudiger als je zuvor... aber auch dunkler als je zuvor. Das Album läuft bei mir daher auch viel mehr im Winter, in der dunklen Jahreszeit und um Weihnachten herum, da ich Weihnachten neben dem Familienfest auch immer mit etwas Melancholie verbinde.
    Ich lege mich im Vorfeld schon einmal in soweit fest, als dass ich sage, dass es ein Meisterwerk ist. Zu meiner Begründung dafür komme ich gleich noch.
    Vorab muss ich voranstellen, dass ich vielleicht eine besondere Einstellung zu dem Album entwickelt habe in dem Zusammenhang, dass das Album das (Stand Juli 2020) letzte ABBA-Album ist, das die Gruppe zusammen als aktive Einheit veröffentlicht hat. Die Wahrnehmung der LP wäre wahrscheinlich eine andere, hätte es 1982 anstelle der Compilation The Singles The First Ten Years ein neues Album gegeben, oder 1983, mit den Titeln, die wir kennen: Just Like That, I Am The City, Under Attack, The Day Before You Came... vielleicht weitere Titel, die wir nie kennenlernen können... Another You, Another Me... das muss man dabei berücksichtigen.
    Ich sage das aus der Wahrnehmung heraus, 1992 erst geboren worden zu sein und diese Endzeitstimmung Anfang der 80er gar nicht mitbekommen zu haben.
    Trotzdem ist das Album insgesamt von Melancholie geprägt. Der gewollte Witz bei Head Over Heels kommt nicht authentisch rüber.


    Stilistisch sind ABBA in einigen Bereichen auf diesem Album neue Wege gegangen... nie gab es so viele Solo-Parts für Frida und Agnetha, deren gemeinsamer
    Gesang ein garantierter Erfolgsfaktor für ABBA und ein wesentliches Element ihrer Musik war. Frida singt hier erstmals einen Titel ganz alleine. Agnetha wird für mein Empfinden auf einem Titel noch persönlicher, als bei The Winner Takes It All. Bzw. die Darbietung ist deutlich persönlicher. ABBA werden hier politischer, als auf jeder anderen LP... und sie trauen sich Dinge, die sie vorher nicht gemacht haben, wie beim Titelsong und dem Eröffnungslied der B-Seite.


    Eine Stück-für-Stück-Analyse:TheVisitors: Die Schwingungen beim Intro sind weit entfernt von
    Gitarrenklängen aus When I Kissed The Teacher oder dem Intro von Mamma
    Mia... hier kommt eine mystische Stimmung, die durch einen Vocoder oder
    Stimmenverzerrer und Fridas Strophen die Nackenhaare hoch stehen lassen.
    Der Text ist verklausuliert und doch politisch und ich denke beim Hören
    immer an die Protagonistin in dem Raum, die auf diese Leute wartet, die
    sie holen sollen. Der Refrain bricht wieder ab und wird dynamisch.
    Interessant arrangiert und Anfang der 80er sicherlich auch sehr dem
    Zeitgeist angemessen.
    Head Over Heels: Der
    Vorbau zum Refrain, bei dem Frida und Agnetha gemeinsam bis zum Head
    Over Heels singen, ist melodisch. Das Lied an sich ist es auch. Es ist
    vielleicht einfach die Aufnahme, die nicht richtig gezündet hat. Es
    waren die ersten digitalen Aufnahmen der Gruppe, vielleicht ist dabei
    auch etwas der ohnehin bei diesen Sessions schon raren Wärme verloren
    gegangen. Der Witz dieses Liedes und die Ironie des Inhalts kommen hier
    nicht so richtig rüber, schon gar nicht im Gesamteindruck des Albums und
    der anderen Songs. Im Video spielt Frida die Frau von Björn... ABBA
    werden hier selbst zu schauspielern, wobei man sonst immer die Paare
    kannte... das passt alles irgendwie nicht so richtig.
    When
    All Is Said And Done... wird hier viel kritisiert aufgund des
    Arrangements... ich glaube, dass Benny heute ebenfalls eurer Meinung
    ist. Er hat für Mamma Mia das Lied in eine ruhige Ballade umarrangiert,
    dies aber auch schon vorher gemacht, auf dem Album "Funky ABBA" von Nils
    Landgren und beim Auftritt im Hyde Park mit Kylie Minogue. Frida war
    damals unglücklich und zerrissen und hat die Aufnahme, die abgemischt
    wurde, mit dieser Stimmung eingesungen. Es gibt da eine Demo, bei der
    die erste Strophe am Ende noch einmal gesungen wird. Ich finde, auf
    dieser Demo ist all der Trotz zu hören, als sie diese dritte Strofe
    sang. Sie hat kraftvoll ihre Gefühle in dem Gesang ausgedrückt und die
    Flucht nach vorne angetreten, anstelle einer ruhigen balladesken
    Interpretation. Es ist wirklich schade, dass in der Gruppe damals
    niemand für so ein Arrangement ein Veto eingelegt hat, das hätte dem
    Lied sicher gut getan. So wurde daraus eine Power-Nummer mit rennenden
    Instrumenten, die vielleicht auch als Gegenpol zu den bereits
    vorhandenen, ruhiger arrangierten Titeln auf der LP gewählt wurde. Auch
    wenn Du sagst, es war kein internationaler Single-Kandidat, Scotty,
    glaube ich, dass zu der Zeit das Lied bessere Chancen gehabt hätte, als
    Head Over Heels. Beweisen kann ich das natürlich nicht und es mag
    aufgrund einer gruppeninternen Entscheidung so gewesen sein, dennoch
    sehe ich den Titel, die Melodie und den Gesang viel weiter vorne auf dem
    Album. Dies wäre ein Lied, das ABBA gerne heute noch einmal in der
    alternativen Balladen-Version aufnehmen können.
    Soldiers:
    Die Stärken des Titels und die Ambivalenz sind von Scotty perfekt
    beschrieben worden und bilden meine Meinung 1:1 nach. Ich kann dazu
    nichts Abweichendes hinzufügen.
    I Let The Music
    Speak: Ist ein gewagter Titel für ein Pop-Album und ein Beweis, dass
    ABBA hier das Pop-Spektrum verlassen haben. Ja, diesen Titel hätten sie
    auch für Chess aufbewahren können. Aber er ist ungewöhnlich und ich wäre
    gerne im Studio gewesen, als das Konzept musikalisch umgesetzt wurde
    und die 4 ihre Meinungen dazu ausgetauscht haben.
    One
    Of Us: Ist ABBA in Reinform. Klare Wahl für die Single, toller Gesang,
    super Basslinie. Hier sind ABBA meiner Meinung nach näher an ihrer
    Essenz, als in jedem anderen Titel auf dem Album, näher an früheren
    Zeiten, auch wenn dieses Lied ebenfalls sehr traurig ist. Der Gesang ist
    viel gefühlvoller, als beispielsweise bei Head Over Heels.
    Two
    For The Price Of One: Diesen Titel würden wir alle wahrscheinlich
    besser bewerten, hätte statt Björn eine der beiden Ladies gesungen, oder
    am Besten beide. Allerdings gibt es hier interessante Passagen und
    Aspekte. Im Refrain singen Agnetha und Frida eine Melodielinie, deren
    Tempo deutlich vom Hauptgesang abweicht. Ich finde, dass hier schon mehr
    drinsteckt, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Und das Ende ist
    nicht weniger verspielt als das Ende von Chiquitita oder Passagen in
    Arrival, oder Intermezzo No. 1. Die Melodie hätte vielleicht einen
    anderen Text gebraucht, dann wäre der Titel auch anders in Erinnerung
    geblieben.
    Slipping Through My Fingers: Ist der
    persönlichste ABBA-Ttel überhaupt und geht mir tatsächlich näher, als
    The Winner Takes It All. Ich habe das Lied wohl so mit 12 oder 13 das
    erste Mal gehört und jetzt mit 28 bewerte ich es bereits anders und kann
    dieses Empfinden nach der viel zu schnell verstrichenen Zeit
    nachempfinden. Wenn Agnetha diesen Titel bei Dick Cavett live singt,
    bleibt die Zeit stehen und die Welt ist still... ein absoluter Favorit.
    Like
    An Angel Passing Through My Room habe ich nie so düster wahrgenommen,
    wie Du, Scotty. Ich habe Deine Sichtweise in diversen Threads dazu
    gelesen und kann sie auch bedingt nachvollziehen, aber mein erster
    Eindruck war das beim Hören nicht. Ich nehme da eine Ruhe, einen
    Seelenfrieden wahr. Jemand ist in einer Art Dämmerzustand und die
    Stimmung ist so verwoben, dass man wohl wirklich Engel im Raum fühlt...
    ob das aber die Engel für das letzte Geleit sind, oder einfach Boten für
    Frieden, bleibt eigentlich offen. Das Text-Konzept "Another Morning
    Without You" wäre auch interessant als Alternative gewesen. Das wurde
    inhatlich ja dann in The Day Before You Came in anderer Art aufgegriffen
    und auch bei Just Like That. Irgendwie war Björn als Texter zu der Zeit
    wohl sehr von dem Thema eingenommen, dass das Treffen einer bestimmten
    Person einen Wendepunkt auf das Leben der beteiligten Person haben kann.
    Während
    der Sessions zum Album wurde noch die Melodie "Givin A Little Bit More"
    komponiert, aber nur als Demo aufgenommen. Das ist schade, denn die
    Melodie ist stark und hätte, wie auch Carl Magnus Palm dazu schrieb, dem
    Album etwas Frohsinn verleihen können, der wohl bitter nötig gewesen
    wäre. Diese Melodie ist positiv und der Text wäre es wohl auch geworden,
    ein Wendepunkt zur Melancholie auf all den anderen Titeln.ABBA
    waren hier an einem Wendepunkt und haben diesen und die Stimmung in der
    Gruppe zu diesem Zeitpunkt eingefangen. Die Aufnahmen waren teilweise
    viel reflektierter (Soldiers, Slipping Through My FIngers), gewagter und
    ambitionierter (The Visitors, I Let The Music Speak) und man hatte den
    Eindruck, dass sich alle 4 Protagonisten im Vergleich zu der Spaß-Truppe
    aus ABBA-dabba-doo deutlich verändert und weiterentwickelt hatten...
    ich glaube, durch die persönlichen Umstände wurde auch die Arbeit im
    Studio schwieriger für die Gruppendynamik. Bis auf die genannte Demo ist
    mir kein Material bekannt, dass aus den Sessions nicht umgesetzt wurde.
    Kein Vergleich zu Voulez-Vous Zeiten. Kein Wunder, dass sich alle
    parallel in dieser Situation nach anderen Projekten umsahen. Trotzdem
    haben sie zu der Zeit ein sehr fortschrittliches Album geschaffen, dass
    schon einen Fingerzeig für das neue Jahrzehnt gab... das aber immer auch
    im Kontext als letztes ABBA-Album gesehen werden muss und das daher so
    oder so einen besonderen Stellenwert hat.

  • Vorweg möchte ich meinen herzlichen Dank an die Kommentatoren, die bisher in diesem Thread geschrieben haben, zum Ausdruck bringen.
    Ich wäre nie darauf gekommen, welche Belange bei den ABBA-Mitgliedern bei der Entstehung des Albums eine Rolle spielten und sonstige Einflüsse und Gegebenheiten von Bedeutung waren.
    Ich finde die Ausführungen spannend und höchst interessant. Es gibt Momente, da fühle ich mich schon fast schon so, bei der Entstehung des Albums dabei gewesen zu sein.


    Unter diesen Umständen höre und beurteile ich so ein Album wie "Visitors" doch etwas anders, als ein Album, was bei mir "anonym" landet.
    Song für Song habe ich verfolgt und bin auch auf Widersprüche gestoßen. Nun ist es immer die Frage, was die Schöpfer sich vorgenommen haben, zu vermitteln.
    Ich kann dazu nur vermelden, dass ich höchstens mutmaßen kann, aber ansonsten keine Ahnung habe.


    Zur Scheibe selbst, die mir als digital remastered in die Hände gekommen ist, muss ich ganz klar zwischen künstlerischem Ereignis und technischem Eingreifen unterscheiden.
    Anhand von alten MP3 Dateien der entsprechenden Titel kann ich schlussfolgern, wie sich die Aufnahmen im Ursprung angehört haben müssen.
    Im Gegensatz dazu ist das, was derzeit unter die Leute gebracht wird, ziemlich mau.


    Ich weiß nicht, inwieweit ABBA sich damals schon selbst mit der digitalen Aufnahmetechnik befasst haben. Meine Vermutung ist nein. Daraus würde folgen, dass sie auf andere angewiesen waren und das ist gleichbedeutend, dass sie ausgeliefert waren an Elektriker ohne jeglichem Kunstverständnis.


    Wie kann es denn sein, dass ich die Gesangsstimmen im Gesamtklangbild suchen muss und ich Mühe habe, sie zuzuordnen?
    Schade drum...
    Es ist nicht die Technik, sondern es sind die Menschen, die mit ihr nicht umgehen können.
    Künstlerisch empfinde ich das Album als Extraklasse. Die technische Realisierung entspricht dem leider nicht. Das ist meine Meinung.

  • Ich weiß nicht, inwieweit ABBA sich damals schon selbst mit der digitalen Aufnahmetechnik befasst haben. Meine Vermutung ist nein. Daraus würde folgen, dass sie auf andere angewiesen waren und das ist gleichbedeutend, dass sie ausgeliefert waren an Elektriker ohne jeglichem Kunstverständnis.

    Also, die Mehrheit der Songs auf THE VISITORS wurden 1981 bereits rein digital aufgenommen. Sie haben während den Aufnahmen auf ein neues digitales Aufnahmegerät umgestellt.



    Und 1982 wurde das Album ja die allererste digital aufgenommene CD im Pop/Rock Umfeld.

  • Ich liebe dieses Album, für mich ein absolutes Meisterwerk! Ich bin nicht so der Fan, der fröhlichen ABBA-Songs.
    Ich höre das Album nun seit 30 Jahren rauf und runter. Mein Vater hat zu Weihnachten/Jahreswechsel immer Super Trouper und The Visitors aufgelegt. Ich durfte nie an seine Platten und hab mir deshalb als allererste CD das Visitors Album zugelegt. Während andere Teenies zu DJ Bobo und den vengaboys tanzten lag ich irgendwo rum und träumte zu diesen wundervollen Klängen die mich bis heute begleiten.


    Die ganze Atmosphäre, der Sound, die Lyrics . Das ist wirklich großes Kino für mich.


    The Visitors (Crackin Up) ist einer meiner Liebsten. Dieser düstere, hymnenhafte klang zieht mich immer wieder an. Es sind nicht diese typischen 80's Synthis, irgendwie hat das Klasse und wirkt nicht so dahingeklatscht wie bei so manch anderen Künstlern dieser Zeit.
    Head Over Heels ist so schön verspielt und dennoch absolut passend als Brücke zu dem was vorher war und zu dem was hier nun kam.
    When All Is Said And Done war bislang immer der Song mit dem ich ABBA Kritiker überzeugen konnte, wenngleich das nicht wirklich zu meinen Favoriten zählt.
    Die heftigen Drums in Soldiers haben immer schon etwas Gänsehaut bei mir ausgelöst. Generell die Melancholie des gesamten Albums ist ein absolutes Muss für mich.
    Einzig Two For The Price Of One wirkt irgendwie deplatziert und nicht zeitgemäß. Als Kind fand ich das noch ganz toll, heute drück ich den Song meistens weg..


    Die tickende Uhr am Ende. Alles in Allem wirkt das ganze wie ein Konzept-Album.
    Mit dem Wissen um die Beziehungen im Hintergrund und das Ende der Band wurde das Album für mich nur mehr zum Evergreen..


    An der Stelle möchte ich noch erwähnen, dass ein Folgealbum wohl sicher mein absoluter Favorit wäre. Mit The Day Before You Came, I Am The City oder auch Just Like That ist die Band meiner Meinung nach auf Ihrem absoluten Höhepunkt.


    Es ist schade das ich das alles nie miterleben konnte und 1981 noch lange nicht auf der Welt war.


    Insgesamt, von meinem Empfinden losgelöst, denke ich das dieses Album ein wichtiger Meilenstein in der Musikhistorie darstellt. Ein Meisterwerk? Ganz sicher!

  • An der Stelle möchte ich noch erwähnen, dass ein Folgealbum wohl sicher mein absoluter Favorit wäre. Mit The Day Before You Came, I Am The City oder auch Just Like That ist die Band meiner Meinung nach auf Ihrem absoluten Höhepunkt.

    Das wäre es wohl auch bei mir geworden.
    Weil neben den erwähnten Songs wären sicher auch noch Songs wie "Another You, Another Me", "Every Good Man" oder "When The Waves Roll Out to Sea" dazugekommen. :rolleyes:

    Es ist schade das ich das alles nie miterleben konnte und 1981 noch lange nicht auf der Welt war.

    Dafür hast du wohl das "Comeback" mit ABBA GOLD voll mitbekommen und die Mamma Mia Musical Premiere in London 1999.


  • High Five MissUniversum :thumbsup: , so geht es mir auch. Wenngleich ich mittlerweile auch den fröhlichen Songs viel abgewinnen kann.

  • Ja naja. Als Mamma Mia als Musical kam, war ich 11. Ich hab das zwar mitbekommen, aber vom Hocker riss mich das nicht. Und es ist ja auch etwas anderes einen Künstler oder eine Band während ihrer Schaffenszeit zu erleben als ein Revival in Form eines Musicals oder einer greatest hits Platte...

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