LiteraturrezensionAbba ist Schwedens legendärste Popband. Aber warum willst du weinen, wenn du ihnen zuhörst? Martina Montelius von der Allgemeinmedizin hat Jan Gradvalls faszinierendes Buch „Vemod undercover“ gelesen.
Zu den lebensspendenden Dingen, die es gibt, gehört es, jemanden zu hören, der sich wirklich mit seinem Thema auskennt und über einen bestimmten Aspekt davon spricht. So liest man Jan Gradvalls „Vemod undercover“ über Abba, Schwedens legendärste Popband.
Gradvall hat sein Leben der Verfeinerung der Empfänglichkeit seiner Gehörgänge für alle Schattierungen der Musik gewidmet und beschreibt die Begegnung zwischen Fridas und Agnethas Stimmen so: „Die Verschmelzung zwischen Agnethas natürlicher Laserstimme und Fridas Schweiß, Muskeln und Seele wird zu einer unzerstörbaren Legierung.“ ." Er verweist darauf, dass die Tasten, die zu Agnetha passten, für Frida oft etwas zu hoch waren, so dass sie sich anstrengen musste, um ganz nach oben zu gelangen. Und ich, der kein Experte, sondern nur ein Zuhörer bin, glaube zu verstehen, dass diese Anstrengung zu dem Gefühl latenter Verzweiflung und versteckter Melancholie beigetragen hat, das mich immer zum Weinen brachte, wenn ich Abba hörte.
Der Titel ist übrigens ein Zitat von Benny Andersson, der sagt, dass alle Abba-Songs, selbst die fröhlichsten, einen traurigen Unterton haben.
Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich ein Abba-Lied hörte. Es war „Chiquitita“ und ich war wahrscheinlich höchstens fünf Jahre alt. Damals glaubte ich, dass manche Musik von niemandem komponiert wurde, sondern schon immer existiert hatte, wie Wolken und Bäume. Ich dachte, ich könnte hören, welche Musikstücke ewige Naturphänomene wären. Doch bis dahin ging es nur um klassische Musik. Popsongs wurden immer von Menschen erfunden, dachte ich. Bis ich „Chiquitita“ hörte. Später landeten auch einige Songs der Beatles und Michael Jacksons in der Kategorie Naturphänomene.
Heute stelle ich mir vor, dass es bei meiner Kindheitserfahrung darum ging, dass die Musik meine grundlegendsten, aber noch unerforschten Gefühle auf eine nuanciertere und tiefgreifendere Weise ansprach als das meiste, was man im Radio hörte.
Wenn ich Jan Gradvall fragen würde, wie man solche Musik schaffen kann, würde ich als Antwort wahrscheinlich einen interessanten Vortrag über Harmonien und Melodien bekommen. Wenn ich Benny Andersson fragen würde, würde er, wenn man dem Buch Glauben schenken darf, etwas antworten, bei dem es darum geht, am Klavier zu sitzen und sich selbst zu versuchen, einen alltäglichen Klang aufzunehmen und eine Idee zu bekommen, über eine Schleife zu stolpern, die sich interessant und funktionierend anfühlt drauf.
Musik fasziniert mich genauso wie die Schauspielerei; Ich habe mein ganzes Erwachsenenleben lang mit Schauspielern gearbeitet, weiß aber immer noch nicht wirklich, was sie eigentlich tun, und wenn ich sie frage, bekomme ich völlig unterschiedliche Antworten. Das Gleiche gilt für Musiker, von denen ich nicht so viele kannte.
Wenn ich frage, was Musikalität ist, antwortet oft derjenige, der Musikalität als Beruf ausübt, schuldig. Und wenn jemand fragt, wie es mir geht, wenn ich ein Buch schreibe oder ein Theaterstück schreibe, sind meine Antworten nicht sehr aussichtsreich, das fällt mir jetzt auf.
Hier und da unternimmt Gradvall in dem Buch kleine Versuche, tiefer in die fast existenziellen Fragen rund um das Wesen der Musik einzudringen. Dann lässt er sie los, denn es gibt noch so viel mehr zu erzählen. Zum Beispiel über den Nationalsozialismus (bezogen auf Fridas Eltern), die respektable Grenzenlosigkeit der Klatschpresse (bezogen auf Agnetha, die zu diesem Zeitpunkt schon ein halbes Jahrhundert lang auf der Strecke geblieben ist), Stikkan Anderssons bereits ausgetretene Alkoholsucht und freie Assoziationen in der Umgebung verschiedene gesellschaftliche Veränderungen, die parallel zu Abbas‘ musikalischen Entdeckungsreisen stattgefunden haben.
Man kann sich natürlich darüber beschweren, dass der interessante Teil des Buches, nämlich sein innerstes Thema, sowohl durch diese Abschweifungen als auch durch die gewitzten Details über die Mitarbeiter, Instrumente und kleinen persönlichen Macken der Gruppe verwässert wird.
Ich könnte einigermaßen entschieden argumentieren, dass Gradvall das Buch hätte schreiben sollen, nach dem ich mich sehne: ein konzentriertes Fachbuch über das innerste Wesen von Abbas Musik (ein solches Buch wäre außerdem garantiert mangelhaft, da es sich bei dem Thema um einen elektrisierten Regenbogen handelt). Lachs, der sich nicht anlocken lässt).
Aber das ist nicht mein Buch und auch nicht das von Abbas. Es ist Jan Gradvalls Buch, denn er ist ein eigenständiger Künstler. In gewisser Weise ist das Buch eine Demonstration einer von vielen Arten, Musikjournalismus zu schreiben. Gradvalls Art ist assoziationsreich, anekdotenreich und gut synchronisiert, mit einem Schuss Musikgeschichte hier und einem Löffel Pop-Wissen dort. Sowie jede Menge Namensverluste, die nur der sehr erfahrene Leser kennt oder für die er sich interessiert. Es ist so, wie es sein sollte.
Ich fühle mich wie damals in der Grundschule und an manchen Abenden schlief ich ein, um im Jazzclub Fashing Bebop zu spielen, während die Jungs um mich herum, die alle an Holzverarbeitungsmeister erinnerten, endlos die Texte darüber posteten, welches ihrer Idole sie getroffen hatten.
Nicht alles in diesem Buch ist für mich. Aber ich bin davon überzeugt, dass Tausende und Abertausende Abba-Fans wissen wollen, was Pete Townshend einst gesagt hat, warum Rutger Gunnarsson so ein Überflieger war und was an dem Tag, an dem „Take a chance on me“ entstand, in der Zeitung stand.
Wir bekommen auch zarte Miniporträts der Persönlichkeiten der Bandmitglieder, wie der Autor sie erlebt. Mir gefällt's.