The Visitors
Für mich ist dieses Album ein grandioses Meisterwerk, das ABBAs Karriere wirklich die Krone aufsetzt.
Die Stimmung des Albums ist eine düstere und melancholische. In seiner Komplexität merkt man, dass alle Zeichen auf Abschied stehen. ABBA ist vom blumigen Pop in den Olymp aufgestiegen: Ernsthaftigkeit und Erwachsenes. The Visitors ist das Reifezeugnis und Abschluss einer atemberaubenden Karriere.
Das Plattencover: Hier muten schon die Positionen der Bandmitglieder an, dass jeder seine eigenen Wege gehen wird. In den Blicken von Agnetha, Frida, Björn und Benny sieht man wie ernst es ist. Trocken und nüchtern gesnkte Blicke. Das dominierende Braun des Covers verdunkelt die Sache noch mehr und passt perfekt zur Stimmung des gesamten Albums. Es fühlt sich an, als wäre Krieg, wenn man alleine schon Agnethas Outfit betrachtet.
The Visitors (Crackin' Up)
Besser kann man ein Album nicht einleiten. Langsam baut sich dieser Song auf. Das Intro zieht einen stetig in die Thematik hinein und plötzlich ist man mittendrin in der Angst, man selbst könnte aus seinen eigenen vier Wänden abgeholt werden. Fridas Gesang wird zum Hilfeschrei: "Help me!" Dann folgt ein faszinierender Refrain, der düster und abgedeckt wird, als wolle man sich verstecken, bis es zum Knall kommt, als würde jemand die Tür auftreten. Textlich ein kleiner Geniestreich und ganz anders, als die meisten ABBA Songs. Die Melodie hilft einem beim Verständnis und untermalt herrlich den Kontext.
Head Over Heels
Ein etwas peppigerer Song knüpft an den titelgebenden Track an. Im Rhytmus versteckt sich hier ein Tango. Vom Text her ist es einer der ABBA Titel, der nicht wirklich zum Album passt. Eine Frau die shoppingsüchtig ist und ihren Mann verrückt macht? Seltsam. Aber ein lustiger Sound, der dem Album wirklich gut tut. Dennoch kommt er etwas müde daher, als wolle er nicht wirklich in Fahrt kommen.
When All Is Said And Done
Wenn alles gesagt und getan ist, sollte man sich diesen von Frida wunderbar dargebotenen Song anhören. Ein weiterer Trennungstitel in der Bandbreite von Liedern unserer vier Schweden. Alleine das Video ist schon sehenswert. Das flammend rote Haar Anni-Frids im Wind an einer Küste: Das perfekte Bild zur Einleitung des Songs. Schluss, Aus, das war es. Man hat mit einer Beziehung abgeschlossen, die nicht mehr zu retten war. Genialer Text, genialer melodischer Aufbau.
Soldiers
Weiter geht es im 3/4-Takt: Wieder die Angstthematik im kalten Krieg. Sensationell eingefangen in seiner Melodie und Agnethas gefühlvoller und angsterfüllter Gesang. Hier schafft es Agnetha schon wieder mit Emotionalität zu begeistern. Soldiers ist eine wahre Perle auf diesem Album, der alles hat. Das musikalische Zwischenspiel zwischen den letzten beiden Refrains hat eine gewisse Dramatik, die einen Knall hervorruft, fast wie eine Art Weckruf. Faszinierndes Werk.
I Let The Music Speak
Dieser Titel ist ein kleines Musical in sich selbst und leitet die B-Seite des Albums ein. Frida bringt die richtige Stimmung rüber, ein Lob auf die Musik. Quasi eine kleine Hymne, in der unsere Anni-Frid die Musik sprechen lässt. Bennys Klavierspiel passt perfekt hinein, ebenso wie der tolle Drumsound. Ausgefeilte Zwischensequenzen und ein tolles Finale und das innerhalb von etwas mehr als fünf Minuten. Hier zeigen unsere Komponisten, was sie können! Tolle Glanzleistung.
One Of Us
Agnethas großer Auftritt. Der Song ist ihr auf den Leib geschrieben worden. Einer ist nach einer Trennung immer allein, was sie mit ihrer Stimme super rüber bringt. Textlich ist das Thema wunderbar verpackt worden. Ein Herzschmerz Titel, der musikalisch einer der besten ist, die ABBA je hervor gebracht haben.
Two For The Price Of One
Nun zu etwas komplett anderem: Ein Björn-Song? Tatsache! Ein witziger Text mit einem unmoralischen Angebot. "Ruf uns an und du bekommst zwei Frauen zum Preis von einer!" Hey, das ist nur fair. Es ist ein erheiternder Titel auf The Visitors. Vielleicht hätte eine von den Frauen den Titel singen sollen, um in singlereif zu machen. ABBA war hier wieder zurück zu ihren Wurzeln, ein Song der Spaß macht. Die Ernsthaftigkeit ist hier nicht vorhanden und hilft einmal durchzuatmen. Toller Titel!
Slipping Through My Fingers
Ja, da ist sie wieder: Die Königin der Melancholie im ABBA-Sound. Agnethas eventuell sogar bester Song in der Bandgeschichte ABBAs. Dieser Song gehört ihr und Björn, ganz alleine. Die thematisierte Geschichte "Kinder werden so schnell erwachsen.", "Die Zeit vergeht ganz schön schnell." und die Frage "Wer ist eigentlich meine Tochter?" ist emotional sehr gut umgesetzt. Wenn man persönlich betroffen ist, schreiben ABBA die besten Songs. Dieser gehört definitiv dazu. Das gesamte Sinnieren über die Fragen, die man sich als Elternteil stellt, wird hier ergreifend gesungen und melodisch unstreitbar emotionalisiert. Top!
Like An Angel Passing Through My Room
Der abschließende Titel des Albums bringt nocheinmal Dunkelheit auf die Platte. Es hört sich so an, als würde Frida in einer kleinen Kammer am Fenster sitzen und singen während sie nach draussen schaut. Die Uhr tickt. Sehr nachdenklich, sehr bewegend. Man hat das Gefühl, als ob ein Ende offen gelassen wird. Die Frage ist nur: Wie geht es weiter, was passiert jetzt? Ist dies das Ende? Mit dem unaufhörlichen ticken werden wir alleine gelassen...
Für mich ist es das beste Album in meinem Regal. In sich abgeschlossen mit durchgängigen Themen und etwas lockerem zum Auffrischen. Dieses komplette Album ist wie eine Art Musical. Soll diese Konzeption hochleben! Ich verneige mich vor diesem Opus...