Zum National Symphony Orchestra, das den überwiegenden Teil des Konzerts über mitspielte, sei gesagt: Für das Material der letzten drei Alben und erst recht für die Versatzstücke des nie vollendeten zehnten Albums wäre ein Orchester fehl am Platze, wenn es der Band wirklich um kompromißlose Originaltreue ginge, und statt dessen ein opulentes Synthesizersetup mit zwei bis drei weiteren Keyboardern notwendig – je später das Album, desto mehr. Spätestens The Visitors war nahezu vollelektronisch, und die sechs darauf noch folgenden Songs hatten Björn eigentlich nur noch als Texter und vielleicht noch Sänger und nicht mehr als Gitarrist, weil sämtliche instrumentalen Backings von Benny elektronisch produziert wurden – ABBA waren ab 1981, spätestens ab 1982 lupenreiner Synthpop.
Allein ABBAs früheres Material macht ein Teilorchester notwendig, aber gerade die ersten beiden Alben sind nicht gerade populär, und selbst da wären die Flöten deplaziert gewesen. Viele Fans favorisieren außerdem die späten, in den Polar Studios bis zum Gehtnichtmehr überproduzierten, synthesizerlastigen Alben, die 100% händisch live nachzuspielen annähernd unmöglich ist. Jedenfalls – auch wenn es für sich genommen nicht schlecht klang, trug das Orchester eher dazu bei, den Sound von ABBA – The Show von ABBA selbst weiter zu entfernen, statt sich ihm weiter anzunähern.
Um etwas Positives zu schreiben: Die Sängerinnen waren sehr gut. Nicht nur hatten sie eine extreme Ähnlichkeit mit Agnetha und Frida und obendrein (naturgemäß) einen echten schwedischen Akzent, sondern auch stimmlich waren sie sehr überzeugend. Daß sie nicht zu 100% wie die Originale klangen, war klar, aber sie waren schon sehr nah dran.
Der Gesamtsound war auch sehr opulent, auch wenn der Mix (trotz eines riesigen programmierbaren Digitalpults – Soundcraft Vi6) nicht immer ganz optimal war. Nur – wie die versprochene, in allen Bereichen nahezu perfekte ABBA-Replik klang es nicht.
Das Programmheft spoilerte übrigens die Setlist vorab – und zwar inklusive sämtlicher Zugaben. Typisch: Aus der Super Trouper war einzig der Titelsong als nicht zwingend umarrangiert angekündigt; The Visitors und das Post-Visitors-Material, das dereinst Opus 10 hätte werden sollen, waren beide nicht vertreten. Aber gut – von so einer Besetzung kann man keine perfekte Replik von "The Day Before You Came" oder "Like An Angel Passing Through My Room" erwarten, auch weil gut 90% der auf der Bühne Anwesenden (Drummer, Bassist, alle Gitarristen, alle Sängerinnen außer einer oder zwei, das komplette Orchester) nichts zu tun hätten, derweil die Elektronikfraktion alle Hände voll damit zu tun hätte, auch noch das letzte kleine Detail des aufwendig produzierten Synthesizer-Backings abzufahren und selbst Drums und Percussion maschinell erzeugt würden – zwar Playback im weitesten Sinne, aber authentisch, weil ABBA damals selbst schon mal eine Drummachine einsetzten.
Opener war "Tiger", sozusagen ein "Australian Opening" – so manch ein Fan wird das als "großes Tennis" empfinden, daß zur Abwechslung nicht mit "Waterloo" eröffnet wurde. Schon in diesem Song wirkte das Orchester wie ein Fremdkörper, wenn man wirklich mit einer absolut authentischen ABBA-Replik rechnete. Das tat ich nicht wirklich, aber wie gesagt, die Selbstbeschreibung der Show suggerierte das. Der zweite Song war schon eine ziemliche Überraschung: "He Is Your Brother".
Bei "Mamma Mia" fiel mir zum ersten, aber nicht zum letzten Mal auf, wie weit – zumindest in meinen "geeichten" Ohren – die Synthesizersounds von ABBAs Studioaufnahmen entfernt waren, obwohl sie mit denen eigentlich hätten identisch sein müssen. Das traf schon auf das Intro zu. Noch dazu leistete man sich den Fauxpas, daß der Gitarrist einen Vierteltakt (!) zu früh einsetzte und die bereits spielenden Musiker entsprechend reagieren mußten.
"Knowing Me, Knowing You" setzte dann fort mit den geradezu schmerzhaft mißlungenen Synthsounds. Der Sound, mit dem in den Strophen die Akkorde gespielt wurden, stimmte fast komplett nicht – zu stark zupackendes 24-dB-Filter mit zuviel Resonanz und gänzlich deplazierter Modulation durch eine Hüllkurve, wohl auch die falschen Oszillator-Wellenformen, Velocity-Abhängigkeit, wo keine hingehört, und so weiter. Statt des originalen, leicht hohl wirkenden Sounds gab es dumpfes Blubbern. "So genau wie möglich" ist das nicht. Und das war mitnichten das einzige, was bei dem Song nicht paßte, aber es fiel mir eben besonders auf. Selbst der Gesang wurde im Refrain vereinfacht, wohl auch, weil nur fünf Sängerinnen zur Verfügung standen, es aber mindestens sieben gebraucht hätte.
Auch bei "Money, Money, Money" stimmte wieder vieles nicht, ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen – ich bräuchte eine Videoaufzeichnung mit gutem Ton (direkt vom Mischpult abgenommen und nicht vom Handymikrofon), um detaillierter schreiben zu können. Wieder einmal auf jeden Fall spielte der zweite Keyboarder gewisse Sachen mit Anschlagdynamik, wo gar keine hingehört.
"S.O.S." war in einer Hinsicht eine Überraschung: Bis zum instrumentalen Zwischenspiel wurde der Song schwedisch gesungen. Das zweistimmige Minimoog-Arpeggio vor den Refrains war bis dahin noch der glaubwürdigste Sound, aber so wirklich nach einem Minimoog klang das auch nicht – auch da hätte man noch optimieren können. Viel schlimmer: Meines Erachtens wurde das Original auf einem Yamaha CP-70 (elektrischer Flügel) gespielt, hier war aber ein akustisches Piano zu hören, noch dazu ohne den eigentlich obligatorischen Flanger.
Darauf folgte ein angeblich "akustisches" Medley, das gar nicht wirklich akustisch war. Die vier eigentlichen "ABBA-Mitglieder" setzten sich am vorderen Bühnenrand auf Barhocker, wurden aber sehr wohl von fast allen anderen Musikern begleitet – inklusive dem zweiten Keyboarder, also elektronisch. Darin enthalten war auch "I Have A Dream" – wie A4u hatten Waterloo vor dem Aufwand kapituliert, den eine wirklich authentische Nachbildung dieses Stücks bedeutet hätte (die diversen markanten GX-1-Sounds und vor allem der Kinderchor), und setzten statt dessen auf eine reduzierte akustische Version.
Ulf Andersson wurde angekündigt und betrat die Bühne saxophonspielenderweise, kaschierte dabei die naturgemäßen Abweichungen zwischen der Studioversion und dieser Coverversion von "Voulez-vous". Darin hat ein Saxophon eigentlich nichts zu suchen, aber Waterloo haben 1996 mal einen ganzen Gig mit Begleitung durch Ulf Andersson gespielt. Außerdem, was will man sagen gegen ein mehrminütiges Saxophonsolo als Intro, außer daß es nicht original ABBA war? Zum einen fielen mir wieder mehr oder minder vermeidbare klangliche Abweichungen auf: Die "perligen" Akkorde in den Strophen wurden mit einer Art Glöckchensound gespielt, der meines Erachtens ziemlich unpassend war – im Original dürfte es ein obertonreiches Gemisch auf Oszillatorseite gewesen sein, in hohen Frequenzbereichen angereichert durch ein weit offenes, resonierendes Tiefpaßfilter und untenherum per Hochpaß leicht ausgedünnt, aber auf der Voulez-vous dominierte die GX-1, die wie schon mehrfach gesagt sehr schwer zu emulieren ist. Noch dazu wurden die Akkorde zu langsam aufgelöst, das waren fast schon Sechzehntel, während es im Original meines Erachtens noch schneller ist als Zweiunddreißigstel. Außerdem fiel der leicht verunglückte Mix auf: Die Drums waren merklich zu leise.
"I Do, I Do, I Do, I Do, I Do" erwies sich im Vergleich zu den synthlastigen, überproduzierten Spätwerken, die den Großteil der Setlist ausmachten, als pflegeleicht, und gerade dieses Stück konnte von Ulf profitieren. Ganz optimal lief es aber auch nicht ab: Das Timing des Gesangs im Refrain an der Stelle, an der der Titel genannt wird, war zwar synchron, aber synchron holprig und ungleichmäßig. Die Sängerinnen fingen immer an mit glatten triolischen Vierten, um dann schlagartig kurz anzuziehen, um annähernd zeitgleich mit dem Original zu enden, das eher polyrhythmisch anmutet.
"Eagle" war als nächstes angekündigt, und schon der Blick ins Programmheft verriet mir, daß Waterloo beim Versuch, diesen Song bis ins Detail exakt wie ABBA klingen zu lassen, mit Wucht auf die Schnauze fliegen werden. An sich klang "Eagle" nicht schlecht, aber gerade im Intro und in den Strophen ausgedünnt und natürlich nicht exakt wie ABBA. Der Grund lag genau da, wo ich ihn von vornherein vermutete – bei dieser perkussiven, an ein Saiteninstrument erinnernden Adlib-Begleitung, die Benny in der originalen Studiofassung auf dem Polymoog spielte. Weil es unmöglich ist, diesen Sound mit irgendetwas seit 1980 (geschweige denn in den letzten 10 Jahren oder gar aktuell) Gebautem so nachzubauen, daß er klingt wie auf dem Album, hat man den Part gleich ganz gestrichen, und zwar ersatzlos. Leider war auch der Versuch, den kleinen synthetischen Flöteneinwurf (meines Wissens ARP Odyssey) zu replizieren, gescheitert. Nicht nur klang es nicht ansatzweise wie ein früher Odyssey, sondern selbst das Bending am Ende wurde unterlassen. Sogar der Gesang von "Eagle" wurde vereinfacht, und zwar im Refrain.
Als es zum instrumentalen Ende hin ging, erinnerte das Stück mich für ein paar Sekunden an "Flesh For Fantasy", bevor ein langes Gitarrensolo folgte. Erst ganz am Schluß sangen die Sängerinnen den Refrain dann richtig.
Zu "On And On And On" kann ich nur sagen, daß mir da Klänge auffielen, die zu ABBAs Zeiten niemand je gespielt hätte, zumindest nicht ABBA selbst, und die auch für ABBA-Verhältnisse zu harsch und digital waren.
Als letzte vollwertige Nummer vor der Setpause folgte ein zweites Medley. Als interessantes Detail wurde in "When I Kissed The Teacher" an einer Stelle kurz ein Delay auf den Gesang gelegt.
(Fortsetzung folgt)