Der Schweizer Tages-Anzeiger hat das Interview aus der Süddeutschen übernommen, jedoch nicht die Passage über die neuen Songs - Interessant.
Interview mit Musik-Legende
«Ohne Copyrights wären Abba nie zu dem geworden, was sie waren»
Björn Ulvaeus weiss, was Musikrechte wert sind. Der Abba-Songwriter und Gitarrist kämpft für gerechte Entlöhnung von Künstlern in der Streaming-Ära.
Joachim Hentschel
Björn Ulvaeus übernahm im letzten Mai das Präsidium der Cisac, des Dachverbands der Copyright-Verwerter, der weltweit 230 Gesellschaften vertritt, die die Rechte von Komponisten, Textern, Filmern, Theatermachern und weiteren Kreativen verwalten. In dieser Funktion sitzt Ulvaeus nun vor der Zoom-Interviewkamera in seinem Wohnzimmer in Stockholm. Der 75-jährige Abba-Mann ist in Plauderlaune, zwischendurch herzerfrischend sarkastisch. Und manchmal lacht er wie ein alter König.
Herr Ulvaeus, es gibt eine Website, auf der alle weltweit aktiven Abba-Coverbands aufgelistet sind. 177 Namen stehen da. Wie viele davon haben Sie schon selbst gesehen oder gehört?
Keine. Nicht eine einzige.
Im Ernst? Reizt Sie das gar nicht?
Überhaupt nicht. Schon die Vorstellung finde ich bizarr.
Andere Musiker erledigen stellvertretend die Arbeit für Sie, oft an mehreren Orten parallel. Ist das Prinzip nicht brillant?
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich ist es sehr schmeichelhaft, wenn andere Musikerinnen und Musiker die Songs von Abba aufführen, damit vielleicht sogar ihren Lebensunterhalt bestreiten. Es ist mir eine Ehre. Es heisst aber nicht, dass ich mir das anhören muss.
Sie haben zusammen mit Benny Andersson praktisch alle Abba-Songs geschrieben. Dank der Urheberrechte verdienen Sie auch dann mit, wenn andere die Musik nachspielen. Wann wurde Ihnen klar, was für einen unsagbaren Schatz Sie da besitzen?
Nachdem wir 1982 die Gruppe aufgelöst hatten, sah es zuerst nicht danach aus. In den 1980er-Jahren interessierte sich niemand für Abba, dann gab es in den 1990ern plötzlich dieses Revival. Erst da begriffen wir, was für einen grossartigen Katalog an Songs wir haben. Unsere Songs arbeiten. Mit ihnen können wir auch selbst neue Projekte wie das «Mamma Mia!»-Musical realisieren. Es heisst aber auch, dass wir genau hinschauen müssen. Sie werden keinen Werbespot finden, in dem man unsere Musik hört.
Comeback von Abba
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Im deutschsprachigen Raum gab es eine Shampoo-Werbung: «Schönes Haar ist dir gegeben, lass es leben.» Das war ein Abba-Song.
Okay, aber das war in den 1970er-Jahren. Es gab 1976 noch einen anderen Werbespot, für einen japanischen Elektronikhersteller. Aber später haben wir solche Sachen nicht mehr erlaubt. Wir bekommen immer noch massenhaft Anfragen, auch von Filmproduktionen, Fernsehsendern und so weiter. Meistens sagen wir Nein.
WEITER NACH DER WERBUNG
«Weil die Streaming-Ära den Songwritern viele Probleme gebracht hat, will ich für ihre Rechte kämpfen.»
Legendär ist Ihre Weigerung, Abba-Samples an andere Musiker zu lizenzieren. Für die Fugees machten Sie 1996 eine Ausnahme sowie 2005 für Madonna und ihren Song «Hung Up». Warum?
Die Fugees mochten wir einfach gern. Ich bin mir nicht mal sicher, ob wir ihr Stück vorab gehört hatten. Bei Madonna dagegen erinnere ich mich genau. Als Benny und ich den Song zum ersten Mal hörten, gingen wir praktisch in die Knie. Das klang so brillant, mitreissend, originell. Wir konnten gar nicht anders, als Ja zu sagen.
Jetzt sind Sie quasi mitverantwortlich für die Urheberrechte vieler anderer Kreativer, als Präsident des Verbandes Cisac. Der neue Cisac-Report besagt, dass im laufenden Jahr die Einnahmen durch Copyrights weltweit um 35 Prozent einbrechen, also um etwa 4,1 Milliarden Dollar. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Die Covid-Pandemie hat auch hier viele negative Entwicklungen verstärkt, die schon vorher da waren. Höchste Priorität hat für mich als Cisac-Präsident, dass die neuen Urheberrechtsrichtlinien, die 2019 vom EU-Parlament beschlossen wurden, möglichst bald überall umgesetzt werden. Plattformen wie Facebook und Youtube sollen endlich Verantwortung dafür übernehmen, wenn ihre Nutzer geschützte Musik oder Filme hochladen. Würden diese Firmen Tantiemen bezahlen wie alle anderen, würde das die Rechte der Kreativen entscheidend stärken.
«Benny und ich wurden erst ab dem Moment zu wirklich grossen Songwritern, als wir nennenswerte Tantiemen erwirtschafteten.»
Viele warnen, dass solche Regeln die Ausdrucksfreiheit im Internet extrem beschneiden werden. Die Plattformen müssten automatisierte Filter einsetzen, die auch viel von dem aussortieren, das in Wahrheit gar kein Urheberrecht verletzt.
Das Dilemma ist mir natürlich bekannt, dafür brauchen wir angemessene nationale Gesetze. Natürlich darf man nicht erwarten, dass alles ganz ohne Fehler abläuft, die man korrigieren kann. Es darf aber auch kein Argument dafür sein, alles so zu lassen, wie es heute ist. Schauen Sie, ich habe als Unternehmer in vielen Bereichen gearbeitet, zum Beispiel als Immobilienentwickler oder als Chef grosser Kulturproduktionen. Aber am stärksten schlägt mein Herz für die kreative Arbeit. Weil die Streaming-Ära den Songwritern viele Probleme gebracht hat, will ich für ihre Rechte kämpfen. Ohne Copyrights wären Abba nie zu dem geworden, was sie waren.
Wie meinen Sie das?
Benny und ich wurden erst ab dem Moment zu wirklich grossen Songwritern, als wir nennenswerte Tantiemen erwirtschafteten. Als plötzlich der Druck von uns abfiel, nur von einmaligen Honoraren zu leben, für die wir zusätzlich noch die Platten anderer Künstler produzieren, Auftragsmusik schreiben und mit diversen Bands auf Tour gehen mussten. Es muss um 1973 gewesen sein, als plötzlich genug Geld für die Songs reinkam, die wir bereits geschrieben hatten.
Das war ein Jahr bevor Sie mit «Waterloo» den Eurovisionswettbewerb gewannen und Abbas Weltkarriere begann.
Genau. Wir konnten uns komplett aufs Schreiben konzentrieren, und erst da wurden wir richtig gut. Da wurden wir Profis.
Die Filmbranche hat es geschafft, zumindest einen Teil der verlorenen Kinobesucher zu Pay-per-View-Streams ins Netz zu holen. Die Musikindustrie hat kein taugliches Krisenformat entwickelt. Warum nicht?
Weil es nun mal wahnsinnig langweilig ist, einer Band per Stream dabei zuzuschauen, wie sie in ihrer Küche musiziert. Die bittere Einsicht, die uns Corona gebracht hat: Es gibt absolut keinen Ersatz für Livekonzerte, für Begegnungen zwischen grossen Künstlern auf der Bühne und einer aufgedrehten Menge, die das miterlebt. Wir müssen warten, bis das wieder geht. Ich sehe keine andere Lösung.