ABBAs Studioalben - Was bedeuten sie euch? Ring Ring - Waterloo - ABBA - Arrival - The Album - Voulez Vous - Super Trouper - The Visitors - Gracias por la musica - Voyage
Heute komme ich zu The Visitors, dem achten Studioalbum – lange Zeit dachten wir, es sei ABBAs letztes, doch tatsächlich, es gab nur eine "kleine" Pause
Der Erfolg von Super Trouper war riesig, entsprechend gespannt war ich, wie es mit ABBA weitergehen würde. Die Trennung von Agnetha und Björn hatte der Kreativität der Gruppe nicht geschadet, sie waren auf Welttournee gegangen und hatten zwei tolle Alben mit Voulez-Vous und Super Trouper veröffentlicht. Doch nun gab es neue "Bad News": Nachdem die Scheidung von Agnetha und Björn im Juli 1980 rechtskräftig geworden war, trennten sich im Februar 1981 auch Annifrid und Benny. Und erneut schossen die Spekulationen ins Kraut, ob dies jetzt das Ende der Gruppe bedeutete. Keine Frage, ich war ebenso skeptisch wie wahrscheinlich viele andere, ob auch eine zweite Trennung verkraftet werden könnte. Ich persönlich konnte damals (und kann mir auch heute noch) kaum vorstellen, wie unglaublich schwierig es sein muss, unter solchen Bedingungen im Studio zusammenzuarbeiten – wenn man sich so genau kennt, alles voneinander weiß, jede noch so kleine Bemerkung wie ein Dolch zustechen und die zwischenmenschliche Atmosphäre vergiften kann. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie kein weiteres Album in Angriff genommen hätten. Aber es kam anders.
Die vier gaben nicht auf und begannen im März 1981 die Aufnahmen zu ihrem achten und für 40 Jahre letzten Album The Visitors. Besonders spannend war es für mich, im April 1981 in dem TV-Special mit dem US-amerikanischen Moderator Dick Cavett zwei neue Songs hören zu können. Abba spielten dort "Two for the price of one", das mir persönlich nur durchschnittlich gefiel, und "Slipping through my fingers", das mich sofort tief berührte, denn ich verstand sofort, dass es hier um Björns und Agnethas Tochter Linda ging. Ein sehr schönes, ergreifendes, persönliches und authentisch vorgetragenes Lied. Dann kam der große Tag: Die LP erschien am 30. November 1981.
Als ich die LP in meinem üblichen Plattenladen in den Händen hielt, spürte ich ob des Covers gleich eine Beklemmung. Im Gegensatz zu früher stehen die vier nicht mehr zusammen, sind nicht eng beieinander in einem Auto oder Hubschrauber, in einer Diskothek oder inmitten einer jubelnden Zirkusschar, sondern hier ist jeder allein in einem anderen Winkel eines riesigen Raumes, der die individuelle Einsamkeit noch stärker betont, jeder schaut in eine andere Richtung und hat die größtmögliche Distanz zu den anderen eingenommen. Für mich blieb da keine Frage mehr offen, was die Zukunft anging.
Wie würde die Musik wohl klingen (zwei Songs waren ja, wie oben erwähnt, aus der Cavett-Show bereits bekannt). Zum zweiten Mal nach The Album gab es nur neun Songs auf der Platte.
Es ging los mit dem Titellied THE VISITORS. Nicht nur der Titel war unheilvoll, so auch der Text und auch die Melodie. Es klang interessant, aber fremdartig und hinterließ einen Kloß in meinem Hals.
Dann folgte HEAD OVER HEELS. Ein sehr schönes und originelles Lied mit den typischen ABBA-Merkmalen. Es hat einen großartigen und eingängigen Refrain und ich höre es immer wieder gern. Eine perfekte zweite Single-Veröffentlichung von diesem Album.
Nummer drei war WHEN ALL IS SAID AND DONE, das "Trennungslied" von Benny und Frida. Frida singt das Lied sehr emotional und schön, aber es packte mich bei weitem nicht so wie "The Winner Takes It All", vielleicht weil der versöhnliche und harmonische Text zu gegensätzlich zu dem harten und kühlen Rhythmus ist.
Und dann kam SOLDIERS – das packte mich sofort. Was für ein Kontrast zwischen einer einschmeichelnden und fast lieblichen Melodie und dem geradezu unheilvollen, bedrohlichen Text! Großartige Lyrik, toller Gesang, ein unheimlich intensives Angstgefühl, das einem da vermittelt wird – einfach genial!
Als letztes Lied auf der A Seite kam I LET THE MUSIC SPEAK. Ein sehr schönes Lied, wunderbar von Frida gesungen, hier wird das Minimusical von The Album fortgeführt und man erkennt, welches Potenzial Frida als Musical-Sängerin gehabt hätte. Das Lied ist schon ein Fingerzeig auf die zukünftigen Werke von Benny und Björn als Schreiber von Musicals.
Auf der B-Seite ging es dann mit ONE OF US los. Hier fand ich endlich den typischen ABBA-Sound, den ich bisher so vermisst hatte. Ein ganz großartiges Lied, mein absoluter Favorit auf dem Originalalbum. Ein wundervolles Intro und ein sehnsuchtsvoller Gesang von Agnetha, das fesselte mich und ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Es ist bis heute das erfolgreichste und bekannteste Lied des Albums, und der letzte Nr. 1-Song von ABBA.
TWO FOR THE PRICE OF ONE war dagegen eine Enttäuschung. Ich hatte es schon bei der Dick-Cavett-Show gehört und war nicht begeistert, auch beim erneuten Hören empfand ich es gleich als eines von ABBAs schwächsten Liedern überhaupt.
So viel besser war da das nächste: SLIPPING THROUGH MY FINGERS. So unglaublich authentisch sind Text, Gesang und Performance, ein wahres Glanzstück wird hier von Agnetha und Björn abgeliefert. Und jeder muss sich eigentlich angesprochen fühlen, denn es hat über den persönlichen Aspekt der heranwachsenden Kinder auch die Zeit, die an uns vorbeigeht und uns zu oft durch die Finger rinnt, ohne, dass wir es merken, zum Thema. Ein großartiges, herausragendes Lied!
Und dann der Abschluss mit LIKE AN ANGEL PASSING THROUGH MY ROOM. Was ließ mich dieses Lied traurig zurück........Als ich es das erste Mal hörte, dachte ich, das ist das Ende, da kommt nichts mehr. Die tickende Uhr, der Text, Fridas Gesang, zwar wunderschön und gefühlvoll, aber so traurig – das war für mich das Synonym für Tod, Trauer, Beerdigung. Es ist auch das einzige, das komplett von Frida allein gesungen wird, die anderen tauchen überhaupt nicht bei dem Gesang auf. Was ich damals natürlich nicht wusste – es kamen im Jahr darauf noch ein paar große Lieder, die auch vom Musikstil nicht nur bzw. nicht mehr so schwermütig und düster klingen sollten – Gott sei Dank.
Ja, was bedeutet mir THE VISITORS heute?
Es ist ein geniales Album mit einigen Meisterwerken, aber meiner Meinung nach bei weitem nicht das beste von ABBA. Es lebt vor allem durch seine herausragenden, sehr spannenden und großartigen Lyrics, aber mir fehlt vor allem eine Zutat: der gemeinsame magische Gesang von Agnetha und Frida, so sehr ich ihre Solostimmen auch schätze, liebe und bewundere. Das Alleinstellungsmerkmal von ABBA, der gemeinsame Gesang der Ladies, wurde hier leider komplett aufgegeben.
Meine Lieblingslieder des Originalalbums damals und auch heute noch sind ONE OF US, SLIPPING THROUGH MY FINGERS und SOLDIERS, die ich mit zu Abbas besten überhaupt zähle. Ansonsten habe ich über die Jahre diese Platte wie auch die ersten beiden (Ring Ring und Waterloo) am wenigsten gehört. Wähle ich eines dieser drei Alben, tue ich das ganz bewusst. Die ersten beiden mit ihrer verständlichen "Unvollkommenheit" aufgrund der frühen Schaffensphase, das letzte mit seiner düsteren und bedrückenden Atmosphäre, auf die ich mich einlassen können muss, was nicht immer der Fall ist. Alle andern fünf Platten von ABBA bis Super Trouper wähle ich nach Belieben blind aus und bin durchwegs begeistert, sie bilden für mich das Kernstück, das Herz ihrer eigentlichen Schaffensphase.
Interessant ist auch, dass in den ersten Jahren immer ein Song auf das kommende Album hinweist. Bei Ring Ring hört man erstmals den typischen ABBA-Sound, das Lied weist auf die Waterloo-LP hin. Waterloo selbst ist mit seinem Sound, Rhythmus, Kraft und Explosivität der Vorgeschmack auf das Album ABBA. Auf jenem weist S.O.S. (hier haben wir den ersten "perfekten Popsong", schon mit leicht sentimentalem Touch) wiederum auf Arrival hin. Auf ARRIVAL sind Abba auf dem Mount Everest angekommen, mit dem Lied Dancing Queen erreichten sie den Olymp. Knowing me, Knowing you zeigt darauf, wohin die Reise weitergehen wird (THE ALBUM). Doch dann ist plötzlich Schluss mit dieser Entwicklung – vielleicht auch ganz verständlich, denn wo will man noch hin, wenn man auf dem Gipfel des Mount Everest steht? Man kann sich, um im Bild zu bleiben, eigentlich nur noch auf dem Gipfelplateau den verschiedenen Himmelsrichtungen zuwenden – und genau das haben ABBA getan. Mit The Album schlugen sie gänzlich neue Töne an, nichts auf diesem Album deutete auf Voulez-Vous, das sie in eine gänzlich andere Richtung führte. Auf diesem wiederum gab es kein Lied, das eine Brücke zu Super Trouper bildete, das wiederum eine radikale Abkehr des vorigen Albums war, erst mit dem darauf befindlichen "besten POP-Song aller Zeiten" The winner takes it all kann man einen Hinweis auf ihr damals letztes Album The Visitors ausmachen. Dass dann das Ende (der Studioalben) kam, wen wunderte es.
Aber wie schön ist es, heute sagen zu können, dass es doch nicht das Ende war, sondern doch nur eine etwas längere Pause.......
Ich bin sehr gespannt auf eure Gedanken zu THE VISITORS!