Hier nun das Thema, wegen dessen ich mich überhaupt hier registriert habe.
Vorweg: Es geht nicht um das Für und Wider bezüglich Tributebands im allgemeinen, also auch nicht darum, daß die echten ABBA unerreichbar und unersetzlich sind und Tributebands von daher nichts taugen, falls das jemandes Ansicht ist. Ich spreche in diesem Thread gezielt diejenigen an, die Tributebands eben nicht als Ganzes ablehnen.
Was mich nun interessiert: Wie authentisch muß der Instrumentensound einer ABBA-Tributeband sein?
Warum ich das frage: Ich bin selbst Musiker, mein Vorstellungsthread geht da ein bißchen mehr in die Tiefe. Als jemand, der Musik auch von der anderen Seite des Instruments (sogar von der anderen Seite der Bühne) kennt, stelle ich mir solche Fragen. Und sie sind durchaus berechtigt meines Erachtens, denn so einfach ist das Thema nicht.
Ich denke, wir sind uns alle einig, daß der Sound einer ABBA-Tributeband in allererster Linie mit den Sängerinnen, die Agnetha und Anni-Frid darstellen, steht und fällt. Aber seien wir mal ehrlich, so ganz austauschbar ist der Sound dahinter doch auch nicht. Ich glaube, die wenigsten ABBA-Fans hören exakt, womit im Original dieser Sound erzeugt und erzielt wurde, aber den meisten von euch wird dieser besondere Klang schon auffallen, oder sagen wir, sie werden merken, wenn da etwas "off" ist, also eindeutig nicht nach ABBA klingt. Es gibt da sehr viele Details, die vielleicht nicht jeder beim Namen nennen kann, die aber eindeutig den Sound ausmachen.
Andererseits steigt mit zunehmender Nähe zum Originalsound der Aufwand, um den zu erzielen, exponential an, und zwar um so mehr, je neuer ein Song ist, d. h. je mehr und je aufwendigeres Equipment Benny zur Verfügung hatte und auch einsetzte. Ich will's mal so sagen: Während Waterloo noch sehr akustisch ist, setzt mit Arrival ein elektronischer und produktionstechnischer Overkill ein, bis The Visitors schließlich hart an der Grenze zum Synthpop ist. Das ist nichts Schlechtes, im Gegenteil.
Es ist nur schwierig zu emulieren. Um so schwieriger, je authentischer man es haben will oder muß. Dabei spielen zwei Faktoren eine Rolle:
- die Diskrepanz zwischen dem, was mit vorhandenem oder vergleichsweise leicht zu beziehendem und tourtauglichem Equipment sowie mit relativ normalem Einsatz möglich ist, und der vom Original kaum bis gar nicht mehr zu unterscheidenden Sound-Replik, für die man allerdings um einiges mehr an Equipment, ungewöhnlicheres, wenn nicht gar exotisches Equipment oder schlimmstenfalls gar Originalequipment mit allen Begleiterscheinungen bräuchte, sowie den Aufwand im Umgang mit diesem speziellen Equipment
- die Diskrepanz zwischen dem, was die Musiker in der Band auf einmal spielen können, den Unmengen an Overdubs und sonstigen Studiotricks spätestens auf der Voulez-vous und dem Anspruch des Publikums, eine 100%-Live-Band ohne jegliche Zuspieler zu sehen
Und dann kommt dazu noch der Anspruch einer Tributeband an ihre eigene Authentizität. Zum Glück sind ABBA-Tributebands in aller Regel eher bodenständig, was das angeht, und prahlen nicht mit einem absolut originalgetreuen Instrumentensound. Oder sie lassen da was anklingen, um sich besser zu verkaufen, und hoffen darauf, daß das Publikum zu sehr mit Abfeiern beschäftigt sein wird, als daß es merkt, daß es da doch subtile, aber merkliche klangliche Unterschiede gibt.
Um mal zu illustrieren, was ich meine, ein konkretes Beispiel: die instrumentale Hauptmelodie von "Gimme, Gimme, Gimme".
- Der einfache, bequeme Weg wäre: irgendein Flötensound, irgendein Streichersound. Merkt ja doch keiner.
- Die erste Steigerung wäre, einen einigermaßen passenden Flöten- und Streichersound zu nehmen. Das sollte eigentlich halbwegs erwartet werden.
- Nächste Stufe wäre, die beiden Sounds auf ein bißchen mehr Originaltreue anzupassen. So manch ein gelernter Pianist wird da selbst schon passen müssen, weil er mit Synthesizern nur so weit umgehen kann, daß er Fertigsounds auswählen kann.
- Wo man eh schon mal Sounds schraubt, kann man auch gleich versuchen, mehr den Charakter des beim Original im Studio eingesetzten Equipments zu treffen. Die Flöte kam von einem Analogsynthesizer und wird entsprechend aufgebaut. Auch die Streicher müssen nicht komplett das übliche klangliche Abbild einer echten Streichersektion sein. Es wird immer noch darüber debattiert, ob im Original auch echte Streicher zum Einsatz kamen, aber der Einsatz einer Stringmachine gilt als sicher.
- Der letzte Schritt vor der Anschaffung des Originalequipments ist dann die Emulation des Originalequipments bis ins Detail. Hier sind wir im Territorium eingefleischter Synthesizer-Freaks, die, wie man so schön sagt, Flöhe husten hören. Die Flöte muß klingen wie ein ARP Odyssey Mk I mit seinem markanten, etwas blechern klingenden Zweipolfilter. Mit dem Zeugs, mit dem ABBA-Tributebands meistens touren, kriegt man das so nicht hin, das heißt also Neuanschaffung. Womöglich braucht man gar einen Laptop, NI Reaktor und sehr viel Zeit, um den Sound auf fast schon molekularer Ebene in all seinen Nuancen nachzubasteln, einen irgendwoher geliehenen, 40 Jahre alten echten Odyssey (die Dinger sind selten) als Referenz neben sich stehend. Für die "Streicher" braucht man eh Software, weil kein Hardwaresynth nahe genug an ein Yamaha SS-30 String Ensemble kommt. Man beginnt zu verstehen, warum inzwischen die Keyboarder mehrerer ABBA-Tributebands auf den Muse Receptor setzen und ihn gründlich mit Software-Klangerzeugern füllen: Ein Laptop hat im Bühnenbild einer ABBA-Tributeband nichts verloren, und alles andere klingt nicht authentisch genug.
- Das heißt, nicht alles andere: Rein technisch gibt es immer noch die Möglichkeit des Originalequipments. Und so manch eine Band war schon versucht, der Ansage zu folgen, ABBA mit exakt dem gleichen Equipment nachzuspielen. Wenn man allerdings betrachtet, was bei Benny für ABBA so alles durchs Studio ging, wird man feststellen, daß das einfach nur Wahnsinn wäre. In diesem konkreten Fall besorgt man sich zunächst einmal einen frühen ARP Odyssey Mk I Blackface (Whiteface sähe ABBAmäßiger aus, Benny hatte aber einen Blackface, technisch sind sie identisch) zu einem Preis, zu dem ein rationalerer Keyboarder eine nagelneue Oberklasse-Workstation mit allen Schikanen kaufen würde. Weil der Odyssey keine speicherbaren Klänge hat und das händische Einstellen zu lange dauern würde, hat man diesen Synth nur für diesen einen Sound. Und doch braucht man mindestens einen bandeigenen Techniker, um diesen noch dazu exotischen (das ist nun mal kein Minimoog) und obendrein mindestens 40 Jahre alten Synth am Laufen zu halten, und hat seine liebe Not damit, daß ein so alter Analogsynthesizer mit zunehmender Betriebstemperatur sich verstimmt. Auch das gleichermaßen seltene Yamaha SS-30 (das ist nun mal kein Solina) braucht man nur für wenige Sounds, weil auf der Bühne der Authentizität halber noch mindestens drei weitere Keyboards für Streicherklänge stehen...
Besonders wenn man tatsächlich wahnsinnig genug sein sollte, auch bei den Keyboards unbedingt die Originalinstrumente der Studioproduktionen haben zu wollen – und damit leben kann, daß die Roadies für jeden Gig mehrere Tonnen an alten, seltenen, sündhaft teuren, empfindlichen, wartungsintensiven und zickigen Analogsynthesizern auf die Bühne wuchten müssen und es auf der Bühne weniger nach ABBA als nach Jean Michel Jarre oder nach "Stevie Wonder trifft Herbie Hancock, Howard Jones und Thomas Dolby" aussieht, bis die Sängerinnen auftreten –, aber auch, wenn sowohl klangliche Authentizität als auch absolutes Live-Spiel ohne Audioeinspielungen und auch ohne Sequencer angesagt ist, hat man ein weiteres Problem: Wer soll das alles spielen?
Mit der Benny-Kopie als einzigem Keyboarder ist das nicht getan. Selbst ein weiterer Keyboarder würde nur reichen, um die Konzerte von 1979 zu replizieren, aber nicht, um die Studioversionen zu replizieren. Vielleicht käme man hin mit vier zusätzlichen Keyboardern außer "Benny". Aber die kosten Geld, die brauchen Platz auf der Bühne, und die sehen in einem ABBA-Bühnenbild nicht gerade gut aus, auch wenn ich mich an ein Foto von einem ABBA-Konzert erinnern kann, wo tatsächlich vier zusätzliche Synthesizerspieler auf der Bühne waren. Die alle in den Backstage zu stellen, wäre auch keine Lösung. Für die Musiker fehlt der visuelle Kontakt zum Rest der Band, und fürs Publikum ist es nicht wirklich live, wenn es nicht sehen kann, wie jeder Ton erzeugt wird.
Eine ABBA-Tributeband hat also die Wahl zwischen
- absoluter klanglicher Authentizität ohne Kompromisse
- 100% live
- einer Besetzung, die sich in Grenzen hält, also keine überbordende Mannschaft von Synthesizerspielern, die sich eher wie Wissenschaftler oder Technikfreaks als wie Live-Keyboarder aufführen
und kann davon maximal zwei Punkte wählen, die miteinander vereinbar wären.
Ich habe darüber schon mit anderen Musikern – mit anderen erfahrenen Live-Keyboardern – darüber debattiert, die der Ansicht sind, das letzte Quentchen Authentizität, die ultimative Replik bis ins Detail, ist Unfug, das kann kein Mensch über eine Live-PA von erheblich einfacheren Vorgehensweisen klanglich unterscheiden. Allerdings würde ich dazu gern die Meinung von eingefleischten ABBA-Fans hören. Als ich mich so in die ABBA-Fancommunity eingelesen habe, habe ich bemerkt, daß da doch bei Tributebands schon mal viel Wert auf einen originalgetreuen Instrumentensound gelegt wird.
Nun noch einmal meine Frage: Wie seht ihr das? Wie authentisch, wie originalgetreu, wie detailgetreu emuliert muß der Sound einer Tributeband sein?