Die Rolle der Texte

  • Im Zusammenhang mit ABBA wird immer sehr sehr viel und eigentlich fast 100% der Aufmerksamkeit auf die Stimmen der beiden Frauen und die Melodien gelegt. Kaum jemand achtet wirklich auf die Texte, die hinter den Stücken stehen und für die hauptsächlich Björn verantwortlich war.


    Natürlich war es in den frühen ABBA-Jahren eher so, dass der Text der Melodie angemessen sein sollte; Hauptsache es "klang" gut. In dieser frühen Zeit war ja auch Stig Anderson noch als Texte-Schreiber kreativ an den ABBA-Kompositionen beteiligt. Ich finde es aber ausgesprochen erstaunlich, wie sich diese Kompositionen weiterentwickelt haben - insbesondere wenn man sich die Titel von Super Trouper und The Visitors anhört, wo dann definitiv auch zwischen den Zeilen Raum für denjenigen war, der zuhörte.


    Diese Kunst, eine Kurzgeschichte innerhalb eines dreiminütigen Rahmens zu erzählen und dabei auch noch Reimschema und Silben zu beachten, die sich einer Melodie anpassen sollten. Wahnsinn.


    Wie man lesen kann, kam Björn oft mit vielfältigen Vorschlägen für den Text ins Studio und die anderen ABBAs berieten dann gemeinsam mit ihrm darüber, welches Thema den Nerv des Liedes am Besten traf.


    Es ist wirklich eine erstaunliche Entwicklung, von Nina, Pretty Ballerina ... hin zu Like An Angel Passing Through My Room.


    Das finde ich umso interessanter, da man die Generation ja mit der in der eigenen Familie vergleichen kann. Englisch war ja nicht seine Muttersprache und dennoch kamen so manche Textzeilen auch im komplexen Musical Chess heraus, vor denen gar Tim Rice seinen Hut ziehen musste. Er gab ja auch später zu, viele Demo-Absätze 1:1 von Björn übernommen zu haben, die Kritiker immer ihm zugeschrieben hatten.


    Ich kann verstehen, dass es für ihn eine enorme Herausforderung gewesen sein muss, vom 3-Minuten-Konzept auf eine zusammenhängende Geschichte im Umfang eines Musicals umzusteigen. Der letzte Schritt wäre wohl ein ganzes Buch, allerdings wohl eher nicht in Form einer Biografie.


    Mit dem kleinen weißen Piano hat er den Anfang gemacht, mit Sagan om ABBA geht es weiter... mal sehen was Björn noch so verfasst. In schwedischen Zeitungen werden ja hin und wieder auch mal Essays von ihm veröffentlicht.


    Ich denke er hat sehr viele Dinge gelesen, um ein solches Ausdrucksvermögen in seiner kreativen Arbeit einsetzen zu können.



    Wie seht ihr das?
    Ich meine, dass die Texte bei ABBA oftmals zu wenig Beachtung finden.

  • Sehr interessantes Thema, Daniel.............


    Ich sehe das genauso, dass bei ABBA die Texte ganz allgemein zu wenig Beachtung finden. Gründe dafür gibt es natürlich einige und nicht zuletzt, waren es Björn und Benny selbst, die dafür gesorgt haben, dass man ABBA nie wirklich über die Texte definiert hat.


    Zunächst war es ja so, dass die ABBA-Lieder von Beginn an dominiert wurden von den eingängigen Melodien, den oft perfekten Arrangements und Rhythmen und natürlich vor allem auch den einzigartigen Stimmen. Schon aus diesem Grund traten die Texte von Beginn an etwas in den Hintergrund. Lieder wie "Ring, Ring" oder "Waterloo" definierten sich natürlich vor allem über diese dynamischen Arrangements, die von den Stimmen perfekt transportiert wurden, während die Texte eigentlich eher im Stil der damaligen Schlagerszene lagen.


    Aber es war nicht nur das......es war auch die Tatsache, dass speziell Björn und Benny das auch ganz offen an die Öffentlichkeit transportierten, dass ihnen die Texte nicht wirklich wichtig waren. Wir alle haben wohl schon in den verschiedensten Dokus dieses schon fast legendäre Interview gesehen, als B+B in ihrer Hütte interviewt wurden zu ihren Liedern und der Bedeutung zwischen Melodie und Text, wo beide dann unisono sagten, dass es eigentlich nur um die Melodie und die Stimmen geht und der Text absolut zweitrangig ist und erst im Nachhinein gemacht wird, selbst aber nicht wirklich wichtig ist. Das war noch zu einer Zeit als Stig viel textete. Von der Warte Bennys ist diese Aussage wohl verständlich, denn er konnte ja nie wirklich texten, aber Björn war sich da seiner besonderen Fähigkeiten auf diesem Gebiet wohl überhaupt noch nicht im Klaren bzw. hat dem einfach keine Bedeutung beigemessen. Da auch Frida nicht wirklich texten konnte und Agnetha durch ihren Zeitaufwand in der Kindererziehung für lyrische Arbeiten auch nicht zur Verfügung stand, ist somit hier ein Vakuum entstanden, das dann oft Stig geschlossen hat, in dem er für einige Texte verantwortlich war. Der Punkt war dann natürlich, dass auch Stigs Fähigkeiten für lyrische Werke nur sehr begrenzt waren und seine Texte oft relativ banal waren, die dann ja auch oft von Björn nachgebessert wurden.


    Björns Talente für Lyrik und Texte aber konnte man teilweise schon beim dritten Studioalbum ABBA feststellen. Als Beispiel kann man hier das Lied "SOS" aufführen, für das zunächst Stig den Text verfasst hatte, der dann aber von Björn stark abgeändert wurde zu einer Lyrik, die sich schon relativ stark von "Waterloo" abhob, die aber hinter der großartig arrangierten Melodie und dem so außergewöhnlichen Gesang nicht wirklich in den Vordergrund treten konnte. Das Album ABBA verdankt seinen schon legendären Ruf vor allem der Tatsache, dass hier der dann berühmte ABBA-Sound erstmals durchgängig zu hören war, während die vorhandene textliche Weiterentwicklung dadurch eher unbeachtet blieb.


    Diese Weiterentwicklung fand dann bei dem Album Arrival seine weitere Fortsetzung. Es brachte unter anderem ein Lied wie "Knowing Me, Knowing You" hervor und wenn man sich heute in der Retrospektive solche Lieder wie "SOS" oder "Knowing Me, Knowing You" anhört mit ihren schnellen Rhythmen und eingängigen und positiven Melodien, so sind es gerade auch die im Konträren dazu stehenden eher melancholisch angehauchten Texte, die diesen Liedern noch eine ganz besondere Note verleihen. Immer stärker verlagerte sich diese Tendenz zu diesen eher tragisch-traurigen Texten verpackt in schnellen optimistische Rhythmen.


    Einen gewissen Wendepunkt hatte dann das nächste Album "The Album" inne, wo Björn dann erstmals verstärkt auch eigene Erfahrungen in seine Texte einbrachte wie zB bei "One Man, One Woman", wo er seine Ideen dann oft mit ABA zur Diskussion stellte, wo man dann gemeinsam entschied und wo man begann, auch gewisse Konzepte zu verfolgen, die die Inhalte mehr in den Mittelpunkt stellten wie z.B. bei dem Mini-Musical "Thank you for the Music", wo es nicht mehr rein nur um die Melodie ging und wo auch der stimmliche Beitrag Agnethas oder Fridas die Aufmerksamkeit mehr auf die Texte legte....das Lied "Thank you for the Music" ist da ein gutes Beispiel.


    Einen gewissen Umweg nahm man dann noch mit dem Album "Voulez-Vouz", wo auch viele sexuell angehauchte Texte zu finden sind wie zB der Song "Lovers".


    Das entscheidende Album, dass dann den Texten die notwendige Wichtigkeit verlieh und sie auf die gleiche Stufe in ihrer Bedeutung wie die Melodien selbst stellte, war dann sicherlich "Super Trouper" . Während sich Benny gerade in seinen Yamaha-Synthie "verliebt" hatte, legte Björn soviel Aufmerksamkeit wie nie zuvor in die Texte und dies führte ihn und die anderen zum......wie ich finde....künstlerischen Höhepunkt ihres kompletten musikalischen Schaffens....zu "The Winner Takes It All".....der Glanzleistung ABBAs in so vielerlei Hinsicht. Björn selbst hat den Text zu diesem Lied selbst immer als seine persönliche lyrische Glanzleistung bezeichnet und gepaart mit der charismatischen gesanglichen Performance Agnethas wurde dieses Lied zu dem Meisterwerk schlechthin....übrigens das einzige Lied auf dem Album ohne Bennys Synthie. Björn hatte mit diesem Text...ob autobiographisch oder nicht....einen absoluten Zenit erreicht, der nicht nur für ihn selbst sondern auch für einen Teil der Öffentlichkeit etwas bewirkt hat, was die Textgestaltung von ABBA betraf.


    Für Björn selbst war nun die Meinung vorhanden, dass die Texte eine überragende Bedeutung hatten, was die ABBA-Lieder betraf, was dann beim nächsten und letzten Album..."The Visitors" zur einzigen mir bekannten künstlerischen Meinungsverschiedenheit mit Benny führte, da Björn dann der Meinung war, dass die Ernsthaftigkeit seiner Texte immer nur von jeweils einer Stimme vorgetragen werden konnte, während Benny dies anders sah und die magische Zweisamkeit von Agnetha und Frida für ein ABBA-Album unabdingbar hielt. Doch Björns Selbstverständnis für die Texte war nun so groß, dass er nach Diskussionen mit ABA sich nun erstmals gegen Benny, was Text/Melodie betraf, durchsetzte, was dazu führte, dass es auf "Visitors" praktisch keine gemeinsam von Agnetha und Frida gesungenen Lieder mehr gibt. Wie diese Entwicklung weitergegangen wäre, werden wir leider nie mehr erfahren............


    Fazit bleibt sicher, dass ABBA auch heute vor allem über die magischen Stimmen von Agnetha und Frida und von den so eingängig positiven Melodien definiert wird........aber gerade in einem etwas engeren ABBA-Fankreis ist inzwischen auch die Erkenntnis gereift, dass das Zusammenspiel der grandiosen Stimmen, der dynamisch-fröhlichen-eingängigen Melodien UND der oft dazu im Kontrast stehenden melancholischen Texten ein ganz wichtiges Merkmal der ABBA-Lieder ist.

  • Vielen Dank für die ausführliche Antwort.


    Ich denke auch, dass es vor allem aus Björns Antrieb geschah, dass die Texte ernsthafter wurden.


    ABBA haben die albernen Kostüme Richtung Voulez-Vous abgelegt... die banalen Texte fingen wirklich schon früher an, tiefsinnigeren Ideen und Konzepten zu weichen. Das Mini-Musical ist tatsächlich ein sehr gutes Beispiel dafür, wie es sich langsam steigerte.


    Why Did It Have To Be Me und Happy Hawaii sind aus meiner Sicht zwei weitere Beispiele dafür, wie kreativ Björn war.


    The Winner Takes It All ist auf alle Fälle sein Meisterwerk, das einzige unter den ABBA-Stücken, das seinen Text unter Alkoholeinfluss bekam, wie Björn erklärte. Er sagte, dass es normalerweise nie gut ausging, wenn er das probierte, aber dieses eine mal hat es wunderbar geklappt.


    Ich würde allerdings auch gerne mal seine Demo-Texte dazu sehen ... The Story Of My Life, "Love For Me Is Love Forever", ... viele Demo-Titel sprechen für interessante Erstversuche, nciht nur musikalisch.

  • Es ist wirklich erstaunlich, welche Entwicklung Björn als Texter in den letzten ABBA-Jahren genommen hat. Was mich neben "The Winner Takes It All" besonders beeindruckt, sind die Texte zu "Soldiers" und "The Piper". Texte, die noch immer so aktuell sind, als wären sie gestern geschrieben für unsere aktuelle Zeit. "The Piper" trifft das auf den Punkt. Die Flötenpassagen spannen einen Bogen bis ins Mittelalter und dann diese grandiose Zeile in Latein: "sub luna saltamus". Das sprengt schon fast die bisherige Textphilosophie von ABBA vor den Super Trouper Alben.
    Peter

  • Ich konnte damals noch kein Englisch....die Texte waren mir egal...! Es klang für mich als Junge alles frisch und fröhlich.
    Die Mädels sangen wie die Engel , Benny spielte Klavier und Björn Gitarre, es hörte sich einfach genial an.


    ABBA wurden ja förmlich von Kritikern zerrissen was die Texte anbelangt. Aber sind wir mal ehrlich, was ist ein guter Text ? Heute ist es nicht viel anders wie früher...Da Da Da wurde auch ein Hit mit einem schlechten Text.
    Die Texte von ABBA passen perfekt zu den Melodien, Björn hat also alles richtig gemacht. Natürlich wurde er mit den Jahren immer besser...aber auch die Lieder immer anspruchsvoller. Dadurch verloren die ABBA Songs am Schluss auch ihre Leichtigkeit...der Zauber war weg , auch wen ich, The Day Before You Came ein schönes Lied finde...Erreichten sie mich damals nicht mehr mit The Visitors.


    Da war ich 15 und die neue deutsche Welle rollte gerade an ....Aus England kamen Culture Club , Wham , Duran Duran, Depeche Mode, Genesis ...mit völlig neuem frischem Sound.
    Heute muss ich sagen da waren auch viele banale und nichts-sagende Texte dabei!
    Zum Glück hatte ABBA Björn es reimte sich auch vielfach gut ...Honey honey... touch me Baby ....aha :lol:

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